Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
der Dunkelheit. In der Ferne war die lückenlos
verschneite Waldlandschaft auszumachen, die den See umschloß. Starker Wind und
Schneeflocken tosten um unsere Ohren. Deutlich sah ich dort unten den vereisten
Charon in seiner alten Fähre. Ein Glück, daß meinesgleichen Höhenangst nicht
kennt und schwindelfrei ist.
Endlich schaltete Luzifer seine Nein -Endlosschleife
ab und richtete seine kalten Augen auf uns. Zumindest verzichtete er diesmal
darauf, sich wie damals in einen Wolpertinger in Übergröße zu verwandeln.
»Ich bin der Herr der Finsternis«, sagte er jetzt leise. »Und
dies ist mein Reich.« Er schwenkte den Arm in einer ausladenden Geste über den
See. Noch nicht einmal in fünf Sekunden schmolz die Eisfläche unter gewaltigen
Dampfexplosionen, es zischte und blubberte, bis schließlich hohe Wellen ans
Ufer traten. Als die Wasseroberfläche sich geglättet hatte, blickten wir durch
sie hindurch in den rotglühenden Höllenschlund. Mein Glaube verbietet es mir,
genau wiederzugeben, welchem Nonplusultra an Grauen wir in diesem siedendheißen
Moloch ansichtig wurden. Nur soviel: Obwohl sich darin Milliarden und
Abermilliarden von gequälten Seelen tummelten und obwohl nun Charon plötzlich
wieder seinen Dienst aufgenommen hatte und mit der Fähre immer neues Material heranschaffte, befand sich keine einzige tierische Seele darunter.
»Und das alles wollen Sie aufs Spiel setzen und es auf
eine Gerichtsverhandlung mit äußerst ungewissem Ausgang ankommen lassen, Herr
Arsch?« sagte Metathron ungerührt.
»Was?« Luzis Gesichtszüge schienen wachsgleich zu
zerlaufen.
»Ich meine, Sie haben sich hier wirklich etwas Hübsches
aufgebaut. Kostete Sie bestimmt sehr viel Fleiß und Durchhaltevermögen und so
manch eine schlaflose Nacht. Allein die Investitionen!«
»Kann man wohl sagen. Alle denken, ich liege die ganze
Zeit locker in der goldenen Badewanne und rauche Havannas, bis der Arzt kommt.
Von wegen! Das ist ein Vierundzwanzig-Stunden-Job. Keine Ahnung, wann ich
zuletzt im Urlaub war. Und was ist der Dank? Besoffene torkeln im Karneval mit
einer roten Filzkappe auf dem Kopf herum, aus der Papphörner wachsen. Das soll
dann allen Ernstes den Leibhaftigen darstellen. Der Brüller, was? Pah!«
»Sehen Sie! Also, ich an Ihrer Stelle würde ruhig Blut
bewahren und mein Schicksal nicht auf Teufel komm raus herausfordern. Sie
erinnern sich doch: ›Wie bist du vom Himmel gefallen, du Glanzstern, Sohn der
Morgenröte! Wie bist du zu Boden geschmettert, Überwältiger der Nationen!‹ Ich
an Ihrer Stelle würde mich zufriedengeben mit dem, was ich schon erreicht habe,
und nichts mehr riskie ren in Ihrem Alter. ›Was ich habe, das habe ich.‹ Ist das
nicht Ihr Motto? Ich an Ihrer Stelle würde einem Vergleich zustimmen.«
Luzifer fuhr als Anzeichen seiner Entscheidungsfindung
oder auch seines Unwillens wie ein Irrer mit dem Kopf hin und her, gab äußerst
unappetitliche Geräusche von sich, von den Gasen, die er bei dieser Gelegenheit
absonderte, ganz zu schweigen. Doch am Ende sagte er: »Okay!«
Und Plop! fanden wir uns erneut im gemütlichen Wohnzimmer
wieder. Der Alte warf Holzscheite in den Kamin, weil das Feuer inzwischen
heruntergebrannt war.
»Dann her mit dem Angebot, Anwalt«, sagte er mürrisch.
»Der Pakt wird aufgelöst«, erwiderte Metathron. Er trat
von einer sandfarbenen Vorderpfote auf die andere, um sich besser konzentrieren
zu können, ein typisches Streßverhalten, das bei uns Schleichjägern oft zur
Anwendung kommt. »Unwiderruflich!«
»Das ist kein Vergleich. Das ist für mich die völlige
Kapitulation.«
»Es geht nicht anders, Herr Arsch. Sie können den Kuchen
nicht essen und gleichzeitig behalten. Wenn Sie ihn aber essen, sehen wir uns
vor dem Kadi wieder. Für eine einvernehmliche Übereinkunft ist Tabula rasa
unvermeidbar. Die Beibehaltung einzelner Elemente des Paktes nützen weder Ihnen
noch meinem Mandanten.«
»Aber ich hatte Unkosten!« Luzi steckte sich eine neue
Zigarette an. Er schien jetzt sehr unglücklich. Wie jeder Unternehmer, der sein
anvisiertes Lebenswerk vor sich zerbröseln sah, wollte er wenigstens den
Einsatz retten.
»Allein die Kosten für das Personal. Bezahl du mal
siebzehn Jahre lang Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge für diese
degenerierten Cherubim. Da landest du leicht im Armenasyl! Und dann die
Zentrale hier. Du glaubst doch nicht wirklich, daß sich so ein
Multimillio-nenklotz allein durch Spenden von ein paar Teufelsanbetern
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