Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
künftig an der Jagd nach behinderten Mücken ergötzen oder aus dem Knast über Internet mit anderen schrägen Vögeln palavern können. Ich entschied mich für die letztere Form der Therapie.
»Woher kennen wir uns, Neptun?« hämmerte ich in die Tastatur, nachdem ich die Talk-Anwendung tatsächlich hinbekommen hatte.
»Das fragst du?« erschien Neptuns Erwiderung wie durch Zauberei unter meiner Zeile auf dem Bildschirm. »Aus dem Krieg!«
»Ich war nicht im Krieg, in keinem Krieg.«
»Francis, ich meine den Krieg in deinem Kopf. Denn ich fürchte, du hast dich mittlerweile so intensiv mit der Sache auseinandergesetzt, daß der Krieg dir genauso vertraut ist wie mir.«
»Eine merkwürdige Art, Freundschaften zu schließen. Aber das beantwortet immer noch nicht meine Frage. Woher kennst du mich, vor allem meinen Namen?«
»Aus dem ›Who is who‹. Hahaha!«
»Weißt du, welcher Art ich angehöre?«
»Jener, die nicht gleich eingeschnappt ist, wenn man ihr vorwirft, sie lebe aus der Dose.«
»Bist du auch ein Tier?«
»Was wäre denn das Gegenteil von einem Tier?«
»Ist Neptun dein wahrer Name?«
»Wie man's nimmt. Jedenfalls könnte ich mir einen häßlicheren Namen vorstellen als den eines römischen Gottes.«
Ich legte eine Pause ein. Was seine persönlichen Eckdaten betraf, schien der Kerl so informativ zu sein wie eine in Keilschrift beschriebene Steintafel. Deswegen beschloß ich, die privaten Geschichten zunächst außen vor zu lassen und mich bei der Befragung auf jenes Gebiet zu konzentrieren, wegen dessen »weißen Stellen« ich mich an ihn gewandt hatte. Weil Neptun unsere Konversation offenkundig als eine Art lustigen Wettbewerb im Ratezirkel betrachtete, verhieß zwar auch diese Strategie wenig Erfolg. Aber andererseits war doch klar erkennbar, daß er ein Interesse, wenn auch ein sehr mysteriöses, daran zu haben schien, diese Dinge mit mir zu diskutieren. Denn genaugenommen hatte er mit der Internetplazierung des Artikels den ersten Schritt getan und eine Verbindung zu mir herzustellen versucht.
»Da du dich in Sachen Personalien so zugeknöpft zeigst, Neptun, gehe ich davon aus, daß es dir lieber wäre, wenn wir über unser Lieblingsthema redeten«, gab ich in den Computer ein.
»O ja!« kam die Antwort prompt.
»Bist du tatsächlich der Verfasser des Cave-canem-Artikels?«
»Selbstverständlich. Das Phänomen Krieg und seine vielfältigen Ursachen, Begleitumstände und Folgen sind meine Leidenschaft. Ich habe mich sehr eingehend damit beschäftigt.«
»Im Auftrag der UNO?«
» ... «
»Ich verstehe. Wenn ich voraussetze, daß du deine Recherchen vor Ort erledigst und auch im Balkankrieg präsent warst, hauptsächlich im Einsatzgebiet General August Horches, so bitte ich dich um die Auskunft, ob dir dort etwas Außergewöhnliches aufgefallen ist.«
»Klar, die Leute haben sich andauernd gegenseitig abgeschlachtet. Normal ist das ja nicht.«
»Nein, ich meine nicht die Greueltaten, welche sich allen Begriffen zivilisierter Welt entziehen, nicht die Normalität des Krieges, nicht die Barbarei. Ich meine, wie soll ich mich ausdrücken, etwas wirklich Außergewöhnliches. Etwas Unbenennbares, das alle Beteiligten spürten und das irgendwann sogar in sie eindrang. Etwas, was über die, welche es erfaßte, den Weg zu uns, den Weg in ein Land des Friedens gefunden hat.«
»Willst du es nicht aussprechen, Francis?«
Mir stockte der Atem.
»Was meinst du?«
»Sag es!«
Meine rechte Pfote, die die Tasten bearbeitete, begann stark zu zittern, und der milchig schimmernde Monitor vor meiner Nase kam mir plötzlich wie eine eiserne, undurchdringliche Maske vor, hinter der sich alles Übel verbarg. Schließlich überwand ich mich und wischte die Scheu beiseite, mich bei meinem Gesprächspartner lächerlich zu machen.
»Das Kriegsmonster«, schrieb ich. »Das Gespenst des Krieges, das, einmal heraufbeschworen, wie ein Virus auch in friedliebende Geschöpfe eindringt und sie sukzessive zu Monstern macht. Das schöne Leben ohne Haß und Gewalt, die Familie, die Kinder, die Freunde und die Freude über das harmonische Miteinander sind dann völlig vergessen. Dieses Gespenst läßt sogar unschuldige Engel vom Blutvergießen träumen. Hast du es gesehen, Neptun?«
»Ja.«
»Was ist das für ein Wesen?«
»Es ist so, wie du es beschrieben hast, und es ist ein Reisender. In seiner unstillbaren Gier nach einer Wirklichkeit, die durch Krieg zum realen Alptraum geworden ist, gleicht es einem
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