Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
Jätekralle mit zwei Zacken? Gab es das überhaupt? Plötzlich hätte ich meine sämtlichen Schnurrhaare darauf verwetten können, daß alle Jätekrallen dieser Welt mindestens drei Zacken aufwiesen, hakengleich und so spitz wie die Reißzähne von ...
Der Schleier hob sich, der Dunst entschwand, das Zwielicht wich, und der Mann, der so viele der Unsrigen und der Kläffer auf dem Gewissen hatte, stand so klar und hell vor mir, als sei er von einem Spotlight angestrahlt. Es war der ehemalige Taucherkamerad von General Horche, der Äquatortäufling, der stets linkisch in die Kamera feixende Hippie mit den kalten Augen, der alte Freund eines Soldaten, der sich ebenfalls das Schlachtfeld zur Lebensaufgabe gemacht hatte, aber im Gegensatz zum letzteren als Botschafter der Wissenschaft auftrat. Aus irgendeinem noch ungeklärten Grund war er irgendwann über sein Forschungsobjekt gestrauchelt und hatte den Verstand verloren. Er delirierte und wütete eine Weile im Institut, wahrscheinlich von seinen Mitarbeitern längst seinem Schicksal überlassen, bis er es schließlich fluchtartig verließ. Ein Wunder, daß er den Kasten nicht in Brand gesteckt hatte. Er tauchte irgendwo in der Nähe unter, normalisierte sich gewissermaßen wieder, aber das satanische Phänomen, das ihn längst zu seinem Sklaven gemacht hatte, nahm ihn alsbald erneut an die Kandare, und das Spiel ging von vorne los. Er wollte sich wieder wissenschaftlich betätigen, diesmal nicht als Beobachter, nicht als Kriegskastrat, nicht als Datenheini, der geschützt durch einen Wall aus grauer Theorie das Schlachterhandwerk kommentiert.
Nein, nun gedachte er etwas durchzuführen, was nahezu alle Wissenschaftler durchzuführen pflegen, wenn sie einen Beweis für ihre Thesen erbringen wollen, aber hierfür leider, leider nicht an Menschen herumexperimentieren dürfen: einen Tierversuch! Dazu bediente er sich eines genialen Kunstgriffes und sägte einen der drei Zackenhaken der Jätekralle ab. Damit besaß er ein Mordwerkzeug, welches nicht nur vorzüglich seinen Dienst tat, sondern darüber hinaus die Reißzähne beider zum Experiment bestimmten Arten imitierte und so die Identität des Mörders verschleierte.
Als ich die ganze Wahrheit begriffen hatte, bereitete es mir überhaupt keine Mühe mehr, den seetauglichen Hippie von anno dunnemals in der Phantasie um zirka fünfunddreißig Jahre altern zu lassen. Die langen schwarzen Haare verschwanden, er bekam eine Glatze mit einem dünnen, schlohweißen Haarkranz drum herum. Eine eckige Goldrandbrille schmückte die inzwischen von Falten eingekreisten Augen. Die einstige athletische Figur wich dem von gutem Essen und edlen Weinen etwas aufgedunsenem Leib, der statt von einer ausgewaschenen Jeans und einem gebatikten T-Shirt nun von einem hellen Sommeranzug aus Leinen umhüllt wurde. Ja, so gefiel er mir, mein gealterter Neptun, der mich bisher so oft in die Irre geführt hatte.
Nichtsdestotrotz hatte er als der große Rätselmacher stets auf eine gewisse Fairneß geachtet und selbst in der kleinsten Einzelheit des Rätsels einen Hinweis versteckt. Obwohl er den Verdacht durch das Pseudonym und das Foto von der Äquatortaufe auf General Horche hatte lenken wollen - ein schelmisches Spiel, um den morbiden Spaß ein wenig zu strecken -, hatte er nur teilweise gelogen, als ich ihn fragte: »Ist Neptun dein wahrer Name?«
»Wie man's nimmt. Jedenfalls könnte ich mir einen häßlicheren vorstellen als den eines römischen Gottes«, hatte er mir zu Antwort gegeben, und das stimmte irgendwie auch. Denn wenn er in Wahrheit auch nicht den Namen des römischen Meeresgottes trug, so doch gewiß den des römischen Kriegsgottes: Mars!
Lediglich die Zimmerdecke trennte mich und Hektor von dem liebenswürdigen Professor Amöbius Mars, über dessen Herkunft ich mir ein paar Gedanken hätte machen müssen, als er im Winter in das Obergeschoß eingezogen war. Exakt jener Zeitpunkt, als die Morde begannen! Fraglos war er der verachtenswerteste Mensch, den ich mir je vorstellen konnte. Aber gleichzeitig konnte ich einen gewissen Respekt vor seinem teuflischen Verstand kaum verhehlen. Auf eine perverse Art war es schon bewundernswert, wie er seine Bestialitäten in eine knifflige Denksportaufgabe verpackt und uns alle zum Narren gehalten hatte. Das endgültige Ende des Falles, so fürchtete ich, war mit seiner Enttarnung allerdings noch lange nicht gekommen.
»Was machen wir jetzt?« wollte Hektor ungeduldig wissen, nachdem ich ihm
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