Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
mich mit seiner roten, sehr haarigen und bulligen Mopspräsenz. Hätte er keine Beine, kein Gesicht und keinen Schwanz gehabt, dann hätte ein Mensch ihn wohl mit einem dieser beliebten Gesundheitskissen verwechseln können.
»Also, ich bin nicht verrückt, falls du das denkst«, erwiderte ich.
»Warum sollte ich das denken?« Seine Kupferaugen weiteten sich in ehrlichem Erstaunen.
»Weil ich manchmal das Gefühl habe, dass die Zeit rückwärtsläuft.«
»Vielleicht tut sie das ja wirklich.«
»Wie bitte?«
»Francis, ich bin nicht der Oberschlaue, der dir etwas ausreden möchte. Auch will ich dich nicht zur Kirche der Normalität bekehren, weil ich ehrlich gesagt gar nicht weiß, was normal ist. Und du bist bestimmt nicht hier, weil du dir von einem alten Zausel erzählen lassen willst, dass du nicht richtig im Kopf bist. Du spürst ein Missbehagen, das du vorher nicht gespürt hast, und das ist offenkundig für dich zu einem Problem geworden. Wir können gemeinsam daran arbeiten, dieses Problem zu analysieren, und wenn wir am Ende zu dem Ergebnis kommen, dass die Zeit tatsächlich rückwärtsläuft, wunderbar!«
Missbehagen – ja, so konnte man es auch nennen. Der Kerl wurde mir langsam sympathisch. Jedenfalls verschonte er mich mit dem angelesenen Psycho-Latein, das ich von solchen selbst ernannten Heilspredigern erwartete. Vielleicht war es keine allzu große Zeitverschwendung, sich
ein bisschen mit ihm zu unterhalten. Nicht, dass ich mir davon wirklich etwas versprach. »Nun gut, Sigmund, dann fangen wir doch gleich an. Muss ich mich dafür auf die berühmt-berüchtigte Couch legen oder so etwas?«
Sigmund lachte schallend auf. »Ach, wo denkst du hin! Bei dem herrlichen Wetter wäre es eine Schande, sich auf irgendeine blöde Couch im Haus zu verkriechen. Gehen wir auf die Terrasse, und tanken wir während unseres Gesprächs nebenbei etwas Sonnenschein.«
»Das ist die zweite Macke von mir, Sigmund. Die hat sich erst vor ein paar Minuten eingestellt. Die Aussicht von hier oben ist zwar atemberaubend, aber mir werden die Knie doch etwas weich, wenn ich da runtergucke.«
»Angst, Francis, Angst ist der eigentliche Mühlstein um unseren Hals. Sie beherrscht uns und verbaut uns den Weg in die Freiheit. Oder weniger pathetisch ausgedrückt, die Sicht auf das schöne Panorama. Es kann durchaus sein, dass dein Problem mit einem jüngst ausgebrochenen Angstsyndrom zusammenhängt. Denn soweit ich weiß, gibt es bei unserer Rasse kaum einen, der Höhenangst kennt. Die Angst jedoch überwindet man nur, wenn man sich ihr stellt. Na ja, für den Anfang kannst du ihr auch liegend begegnen. Wir legen uns einfach vor die Tür, und du erzählst mir alles. Einverstanden?«
Weise gesprochen, Meister. Ich gab mir einen Ruck, und gemeinsam spazierten wir auf die Terrasse. Sigmunds aufmunternde Worte hatten mir zwar nicht das bange Gefühl nehmen können, das mich angesichts des Google-Earth-Blicks von der Plattform aus Bankirai-Holz beschlich, aber sie halfen mir, dieses Gefühl rein verstandesmäßig als etwas
Irrationales abzutun. Irgendwie hatte mir der Meister jetzt schon geholfen.
Wir ließen uns unweit der Tür auf dem warmen Holzboden nieder, und während die Sonne unser Fell verwöhnte, schilderte ich ihm die verrückten Erlebnisse der letzten Tage bis ins kleinste Detail. In der Hitze der Erzählung verflüchtigte sich die Angst vor der schwindelerregenden Höhe tatsächlich, und ich begann, an der Aussicht immer mehr Gefallen zu finden. Das hübsche Altbauviertel unter uns, ein Puzzle aus grauen und roten Dächern, Gärten, baumgesäumten Alleen, Plätzen und Parks, wirkte bald überhaupt nicht mehr Furcht einflößend, sondern im Gegenteil wie eine Schatztruhe voller Schmuckstücke. Dabei schielte ich zwischendurch nicht nur über den Terrassenrand, sondern auch rechts zu dem sich nicht weniger anmutig ausnehmenden, ins Tal schlängelnden und völlig menschenleeren Weg, den ich gekommen war. Wie eine geschmeidige Schleife schien er sich um die besagte Schatztruhe zu winden.
»Das alles hört sich weniger verrückt an, als du glaubst, Francis«, sagte Sigmund, als ich geendet hatte. Der Blick aus den Kupferaugen war eher konzentriert als besorgt. Mein Psychoanalytiker schien wenig aufgewühlt. Nur die niedlichen roten Öhrchen zuckten ein wenig. »Kann es sein, dass du dich nach der goldenen Vergangenheit zurücksehnst, als du noch in vollem Saft standest? Verstehe mich nicht falsch, mir geht es nicht
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