Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
Gegenübers. Beide bildeten eine solch harmonische Einheit, dass ich vor Wohlbehagen hätte jauchzen können. Niemals zuvor hatte mich etwas mehr gefesselt, und niemals zuvor hatte ich eine derartige Verbundenheit mit dem aktuell Erlebten empfunden. Natürlich glaubte ich immer noch nicht an Hypnose.
»Jetzt hast du alle Last abgeworfen und bist ganz und gar frei, Francis«, hörte ich die samtenen Worte, ohne denjenigen zu beachten, der sie von sich gab. Mich faszinierten nur
dieser Schwanz und seine bedächtigen Wischer durch die Luft. Ich konnte mich daran einfach nicht sattsehen. »Nun bist du völlig unbekümmert und trägst überhaupt keinen Ballast mehr mit dir. Steh jetzt auf und folge mir. Behalte dabei meinen Schwanz im Auge.«
»Okay«, sagte ich und erhob mich. »Aber wollten wir nicht in meine Vergangenheit zurück, zu den tiefen Schichten des Unterbewusstseins und so?«
»Pschhht!«, machte er. »Befolge einfach meine Anweisungen.«
Das tat ich doch glatt! Wer war ich, dass ich die Methode des Meisters anzuzweifeln wagte? Der Meister würde mir schon den Weg weisen. Vor allem aber sein unwiderstehlicher Schwanz. Sigmund drehte mir den Rücken zu, sodass ich die wedelnde Rute nun in ihrer ganzen Herrlichkeit vorm Gesicht haben durfte. Wir spazierten in Richtung Terrassenrand. »Ganz leicht fühlst du dich jetzt, Francis, so leicht wie das leichteste Blatt im Wind …«
Was soll ich sagen, es war die volle Wahrheit, was heißt Wahrheit, es war eine Offenbarung! Jede einzelne Faser meines Körpers wurde augenblicklich schwerelos. Der hin-und herwischende Schwanz vor meiner Nase intensivierte seine Wirkung und lullte mich noch inständiger ein, während meine Pfoten ihm schier schlafwandlerisch hinterhertrotteten.
»Gut so«, fuhr Sigmund fort. »Folge mir nur. Du wirst sehen, bald wirst du allen deinen Sorgen davonfliegen. Vielleicht kannst du sogar richtig fliegen.«
»Ja, das wäre toll«, sagte ich. »Fliegen war schon immer mein Traum. Wie oft habe ich früher einen Vogel gerissen
und später gedacht, ach, könnte ich doch auch fliegen wie der kleine Piepmatz in meinem Bauch. Das heißt, eigentlich dachte ich, ach könnte ich doch auch fliegen wie der kleine Piepmatz, bevor er in meinem Bauch gelandet ist …«
»Pschhht!«, machte Sigmund wieder. »Jetzt, Francis, schau geradewegs hinunter.«
Wir waren inzwischen am äußersten Rand der Terrasse angelangt, und zwar an einer Stelle, an der das filigrane Drahtgeländer einen großen Riss aufwies. Vielleicht war er die Folge einer wilden Party, bei der die abgefüllten Gäste nur eingeschränkte Kontrolle über ihre tanzenden Füße gehabt hatten. Wir ließen unseren Blick nach unten in den Abgrund schweifen. Und der war eine einzige Augenweide. Unter unseren Vorderpfoten fiel die Hügellehne so steil hinab, dass ein hingeworfener Stein Hunderte von Metern glatt durchgerauscht wäre, ohne irgendwo aufzuschlagen. Da unten jedoch gestaltete sich alles warm und golden wie auf einer vergilbten Landkarte eines versunkenen magischen Reiches. Die Sonne warf ihren glitzernden Schein auf die Miniaturen von Häusern, Straßen und das umliegende Land gleich einem aus Engelshaar gesponnenen Tüll, und fern am Horizont glühte der Himmel wolkenlos in sattestem Blau. Wie hatte ich mich vor dieser göttlichen Aussicht nur fürchten können?
»Siehst du, Francis, alle Sorgen waren umsonst«, sagte Sigmund. »Und ob die Zeit rückwärts- oder vorwärtsläuft, spielt jetzt keine Rolle mehr.«
»Wohl wahr«, entgegnete ich. »In Anbetracht solch überwältigender Schönheit spielt gar nichts mehr eine Rolle.
Was ist denn übrigens nun mit den dunklen Schichten meines Unterbewussten?«
»Ja, ja, später. Möchtest du nicht einfach hinunterspringen und ein paar Runden über der Stadt drehen?«
Ich spürte nun, wie Sigmund sich von hinten leicht an mich presste und mich sukzessive zum Abgrund schob. Aber das machte mir nichts aus, da ich geradezu darauf brannte, seiner Empfehlung zu folgen. »Das würde ich sehr gern, Sigmund, aber ich kann leider nicht fliegen.«
»Wer sagt das denn? Natürlich kannst du fliegen, hervorragend sogar, wie die Vögel, die du früher gerissen hast. Und wenn etwas schiefläuft, hast du ja den Fallschirm, der dich wieder sicher zur Erde bringt.«
»Was für einen Fallschirm?«
»Den Fallschirm des Vertrauens.«
»Ach ja, den hatte ich ganz vergessen.« Er hatte mich inzwischen so weit über den Terrassenrand gedrückt, dass ich
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