Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman
Weltkriegs gedient. Ich vergewisserte mich durch Seitenblicke, dass ich keine Überraschung zu befürchten hatte, und betrat dann das Chaos. Meine Pfoten trugen mich über ein Pflaster von wild verstreuten Büchern und Wissenschaftsmagazinen, die aufgeschlagen und sozusagen mit
dem Gesicht zu Boden irgendwie verendeten Vögeln glichen, einem Wust von bekritzeltem Papier und jeder Menge Bleistifte, deren Enden abgebissen waren. Ein klobiger Mahagonischreibtisch, der an der gegenüberliegenden Wand mit einem schießschartenkleinen Fenster stand und von dessen Rändern ebenfalls eine undurchschaubare Anzahl von Papieren und Büchern lugte, lachte mich geradezu an. Ich hechtete darauf und besah ihn mir aus der Nähe. Sämtliche aufgeschlagenen Bücher, so hatte es den Eindruck, beinhalteten irgendwelche Jahrhundertprobleme der Mathematik. Oder der Physik. Da ich mit beiden Fächern so vertraut war wie mit dem, was in einem weiblichen Hirn vor sich geht, konnte ich mit ihnen natürlicherweise nichts anfangen. Na ja, manch einer war vielleicht wirklich schlauer als ich und wusste, was zum Beispiel damit gemeint war:
Alles klar?
Dann gab es Zeichnungen und Diagramme, die der Herr Professor mit der Präzision eines Dreijährigen auf lose Blätter gezeichnet hatte. Ich wurde nicht schlau aus ihnen. Was kein Wunder war, denn Max hatte sich ja in Bezug auf das Forschungsgebiet seines Herrchens recht unmissverständlich ausgedrückt. Das heißt, der gute Mann hantierte nicht mit einem Bunsenbrenner, und er zerbrach sich auch nicht den Kopf darüber, wie Schwerkraft in Kilo
zu messen sei. Nein, er beschäftigte sich mit der spekulativsten Disziplin in der Physik, nämlich mit der Zeit. Selbst der gemeine Wald-und-Wiesen-Physiker kam da wohl nicht mehr so richtig mit, geschweige denn meine Wenigkeit.
Eine Zeichnung erregte allerdings doch meine Aufmerksamkeit, wiewohl ich sie weder verstehen noch deuten konnte. Doch erinnerte sie mich wie von weiter, weiter Ferne an ein jüngeres Erlebnis. Auf ein Blatt Papier hatte der Prof einen großen Kreis gekrakelt und darunter einige der bereits erwähnten und für unsereins an Hieroglyphen gemahnenden Formeln gesetzt. Dieser Kreis allerdings besaß eine Besonderheit. Mittig an seiner linken Wand wölbte er sich in Form eines Loches nach innen, und von dort führte eine Art Tunnel geradewegs zur rechten Seite, bis er daraus als eine etwa zehn Zentimeter lange Linie herausbrach und zu einem Buchstaben im luftleeren Raum führte: C.
Ich konnte mir nicht helfen, aber irgendwie erinnerte mich das Ganze an den … Morf. Selbstverständlich kam diese Assoziation dadurch zustande, dass ich immer noch unter dem traumatischen Eindruck meiner Beinahe-Hinrichtung stand, alles Runde mit dem Erdball verknüpfte und jedes Loch darin mit dem unheimlich glühenden Schlund, in den man mich um ein Haar hineingeschmissen hätte. Dennoch blieb die Frage, was es mit dieser wirren Zeichnung tatsächlich auf sich hatte. Wenn sie denn nicht irgendein aus lauter Langeweile oder Nervosität dahingekritzelter Nonsens war. Aber danach sah es nicht aus, weil das Dargestellte direkt darunter wohl in mathematische
Formeln übersetzt worden war. Und was wollte mir dieses »C« bloß sagen, auf das der aus dem Kreis schießende Pfeil deutete?
Plötzlich fiel mir noch etwas anderes auf. Es war meiner Aufmerksamkeit entgangen, da es mit Bleistift winzig und geradezu unwirsch auf den unteren rechten Winkel des Blattes gekritzelt worden war. Anscheinend eine Adresse. Ich beugte mich vor, um sie zu entziffern. Und flitschte mit dem Kopf sofort wieder zurück, nachdem ich sie entziffert hatte. »Gustav Löbel …« begann die Notiz. Darunter waren unsere Adresse und die Telefonnummer von Gustav vermerkt.
Was hatte das denn jetzt wieder zu bedeuten? Beziehungsweise wie passte ein tumber Eremit wie Gustav in dieses abstruse Kuddelmuddel? Zugegeben, es gab da eine gewisse Gemeinsamkeit zwischen den beiden Herrschaften, ich meine, zwischen diesem Physik-Prof und Gustav. Beide waren akademische Autoritäten auf ihrem Fachgebiet. Doch die Archäologie verhielt sich zu der Physik wie ein ausgegrabener, antiker Streitwagen zu einer Interkontinentalrakete. Wo war da das verbindende Element? Welches Problem hatte den Physiker dazu veranlasst, den Kontakt zum Archäologen zu suchen oder umgekehrt? Falls diese Notiz tatsächlich einer Kontaktaufnahme dienen sollte und nicht als Munition in irgendwelchen akademischen Rangeleien bei
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