Felidae
können sie überall noch so viele Abhörmikrofone installieren und Spione in schwarzen Limousinen vor dem Gebäude hin- und herfahren lassen, um meine Intentionen aufzuspüren.
Ich habe die Leute, die noch hier sind, allesamt entlassen, so da ß ich ab nächster Woche ganz allein in Ruhe arbeiten kann. Ich brauche ihr beschissenes Geld und ihr beschissenes Personal nicht. Ich brauche niemanden!
Wenn ich nur wüsste, was diese sonderbaren Formeln zu bedeuten haben, die manchmal an den Wänden aufleuchten.
November
Es ist herrlich, allein zu arbeiten! Man kann dabei das Radio laut aufdrehen, trinken, soviel man will, und tun, was man will. Ungestört von den Sabotageakten der Spione komme ich viel schneller voran, obwohl ich keinen Augenblick vergessen darf, da ß ich unter strengster Beobachtung stehe. Warum sollten SIE mir das Labor sonst zur Verfügung stellen? Natürlich trifft jeden Tag ein weiterer Brief ein, in dem SIE mich zum Verlassen des Gebäudes auffordern. Aber SIE holen nicht gleich die Polizei deswegen. Warum nicht? Warum nicht? Ich bin über IHRE finsteren Pläne gut informiert. SIE wollen den Irren experimentieren lassen, bis er das findet, wonach er sucht und wonach SIE suchen.
Das Organisieren der Tiere betreibe ich unterdessen mit unvermindertem Enthusiasmus weiter. Sie sind überhaupt die einzigen, die mein Werk zu würdigen wissen. Wie tapfer und selbstlos sie mir ihre kleinen Leiber zur Verfügung stellen, wie dankbar sie für das wenige Futter sind, das sie erhalten, und wie wertlos ihnen das eigene Leben erscheint im Vergleich zu dem unschätzbaren Dienst an der Wissenschaft.
Durchschnittlich verbrauche ich sieben Tiere am Tag. Da das Gemisch immer noch keinen Klebeeffekt zeigt, operiere ich praktisch den ganzen Tag. I ch schneide in jede Körperstelle: i n den Hals, in den After, in die Gedärme, in die Muskeln, in die Augen, überallhin. Dank meines ausgeklügelten Zuchtprogramms haben einige der Weibchen Junge geworfen, so da ß für Vorrat gesorgt ist. Am intensivsten arbeite ich natürlich an Claudandus, obgleich er sich weiterhin weigert, mir sein Geheimnis preiszugeben.
Allerdings sollte ich nun eine Pause einlegen und das Labor reinigen. Es stinkt fürchterlich nach Blut und Tierkadavern.
November
Rosalie, oh, meine arme Rosalie, sorge dich nicht um mich, tapfere Frau. Du standest eben vor der Tür und hast lange geklingelt. Ich habe dir nicht aufgemacht, obwohl ich dich hinter den Fensterläden heimlich beobachtete. Dein Gesicht war voll Kummer, ich konnte es deutlich sehen. Dein dich über alles liebender Mann wird zu dir zurückkehren, wenn er sein Werk vollendet hat, und dann wird alles wieder so wie früher sein.
Wie früher? Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie es früher einmal war. Es fällt mir überhaupt schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, zu bestimmen, ob es Tag oder Nacht ist.
Oh, Rosalie, wu ß test du, da ß Blut eine magische Anziehungskraft besitzt und da ß der Körper eines Säugetiers fast identisch mit dem des Menschen ist? Man sollte sich nicht so intensiv mit Blut und aufgeschlitzten Körpern beschäftigen, wie ich es schon so lange tue, sonst wird man komisch im Kopf. Man kann dann nicht mehr einschlafen, und wenn man schläft, kommen diese schauderhaften Alpträume, in denen die aufgeschlitzten Körper wieder zum Leben erwachen, dir vorwurfsvoll ihre klaffenden Wunden entgegenstrecken und dir zuschreien: Klebe sie zusammen! Klebe sie zusammen! Du aber bist nicht in der Lage, all die Wunden dieser Welt zusammenzukleben, weil dein Kleber wieder und wieder versagt. Doch die kleinen Körper voller Wunden brüllen umso eindringlicher: Klebe! Klebe! Mach uns wieder ganz! Dann wachst du schreiend und schweißgebadet auf, aber die Wirklichkeit vermag dir auch keinen Trost zu spenden, weil all diese aufgeschlitzten Körper neben dir liegen und du ganz durchnä ß t bist von ihrem Blut.
Es gibt unendlich viele Versionen der Hölle, Rosalie, und alle beginnen sie schon vor dem Tod. Frage Claudandus, er kann es dir bestätigen. Oft sitze ich vor seinem Käfig und beobachte ihn stundenlang, zuweilen sogar den ganzen Tag. Er hat sich in seiner Leidenszeit sehr verändert, und das nicht nur physisch. Er funkelt mich so wissend und hasserfüllt an, gerade so, als sei er ein Mensch. Ja, etwas Menschliches ist in seinen trüben Augen. Mir scheint, er hat die Unschuld verloren. Es ist verrückt, doch manchmal habe ich das
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