Felipolis - Ein Felidae-Roman
verschwand.
Der quälende Selbstvorwurf sollte jedoch von weit garstigeren Qualen übertroffen werden, nachdem ich im Schacht abgetaucht war. Darin ging es keineswegs verschachtelt wie bei meinem vorangegangenen Tunnelabenteuer zu, sondern der Weg führte allein in eine Richtung, nämlich höllisch abwärts. Es handelte sich um einen vertikalen Basisschacht, an dem alle anderen Schächte angeschlossen waren, kurz gesagt, um ein regelrechtes Fallrohr. Während ich mich im freien Sturzflug befand und mit sämtlichen am Metall kratzenden
Krallen verzweifelte Bremsanstrengungen vollführte, kam es mir eher so vor, als stürzte ich einen Kaminschacht hinunter. Es war allerdings kaum anzunehmen, dass ich, dem Weihnachtsmann gleich, sanft in einem Kamin landen würde. Ein starrer Blick nach unten bestätigte diese Vermutung. Anstatt lodernder Flammen sah ich eine Reihe heller Striche rasant schnell auf mich zuschießen. Obwohl ich alle Pfoten voll zu tun hatte, gegen einen Herzinfarkt anzukämpfen, konnte ich mir ungefähr denken, was es mit dem leuchtenden Geriffel auf sich hatte. Es war der Abdeckungsrost in der Decke des untersten Raumes. Darunter konnte sich eigentlich nur noch der Keller befinden.
Und so war es. Ich krachte durch den Kunststoffrost hindurch, wodurch die Wucht des Sturzes leicht abgemildert wurde, und dann … Ja dann hätte mir ein Herzinfarkt den folgenden Schlamassel vielleicht doch noch ersparen können. Denn ich wurde an diesem Tag zum zweiten Mal völlig nass. Ich fiel ins Wasser, in sehr, sehr viel Wasser, und fand mich wieder im zweckentfremdeten Schwimmbecken eines privaten Hallenbades. Ich hatte noch vor Kurzem die Gelegenheit gehabt, es in Großaufnahme betrachten zu dürfen - auf einem Flachbildschirm.
Während ich durch die kleine Deckenöffnung in das Neptun-Becken voll mit inflationären rot-weißen Kois segelte, wurde ich eines gar obskuren Treibens um mich her gewahr. Am Beckenrand hatte sich allerlei Volk versammelt, das meinen spektakulären Auftritt mit teils perplexer, teils ärgerlicher Miene verfolgte und mir verdammt bekannt vorkam. Der schrullige »Prof.« Herzl, Josef samt seiner gesundheitlich ziemlich bankrott wirkenden Internationalen Proletarischen
Union ebenso wie der verschlagene Orientale Clint und seine düsteren Freunde Smith & Wesson schauten mit aufgerissenen Augen zu, wie ich mit einem lauten Platsch! ins Wasser eintauchte. Doch bevor dies geschah, registrierte ich noch eine weitere mir bis dahin unbekannte Gruppe am Beckenrand. Natürlich hatte ich augenblicklich Wichtigeres im Sinn, als mich in analytischer Beobachtung zu ergehen. Trotzdem konstatierte ich schon auf den ersten Blick, dass es sich um einen verschärft edelrassigen Haufen handelte. Was noch bizarrer war: Sobald ich, halb dem Ersaufen entronnen, meine Rübe wieder über dem koiverseuchten Wasser hatte, hörte ich vom Beckenrand aus sämtlichen Mäulern einen nicht enden wollenden Chor aus Flehen und Warnung.
»Nicht die Fische fressen! Nicht die Fische fressen! Nicht die Fische fressen …!«
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Wenn man soeben mindestens dreißig Meter einen Schacht runtergerauscht und ins kalte Wasser geplumpst ist und wenn man anschließend, bedrängt von Luxusfischen, auch noch gegen das Ersaufen ankämpfen muss, hat man gewiss anderes im Sinn, als sich über seine Umgebung zu wundern. Doch mir erging es komischerweise genau so. Okay, meine Mitschwimmer waren nicht gerade Piranhas, und die gut im Futter stehenden Kois fügten mir keinen Schaden zu. Sie umschwärmten mich nur wie eine Armada von rot-weißen Miniatur-U-Booten, betatschten mich hin und wieder mit ihren wulstigen Mäulern und beäugten mich mit ihrem hohläugigen, debilen Ausdruck. Der Schock und meine Schwimmfähigkeit auf dem Niveau eines Komikers à la Louis de Funès setzten mir da mehr zu.
Ich befand mich in einer heimischen Wellness-Oase, in welcher der Glanz früherer Tage längst matt geworden war. Das Letztere im wörtlichen Sinne, denn die Halle wurde lediglich von ein paar trüben Deckenleuchtern illuminiert, die der Wasseroberfläche einen warmen Schimmer verliehen. Augenscheinlich handelte es sich um den ehemaligen Familienpool der Kants, der aus was für einem skurrilen Grund auch immer inzwischen zum Koi-Becken umfunktioniert worden war. Na ja, die Familienmitglieder, die sich einen Badespaß
hätten gönnen mögen, waren ja auch nicht mehr vorhanden. Die Szenerie wurde vom Art-déco-Design dominiert. Sämtliche Wände sowie das
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