Felipolis - Ein Felidae-Roman
Labyrinth aus mannshohen Schornsteinen, Feuertreppen, Satellitenschüsseln, ausladenden Gauben, Laufwegen aus metallenen Rosten und
emporragenden Dachschrägen kam immer näher. Ich fragte mich ernsthaft, wo der Kerl in diesem ganzen Chaos eigentlich landen wollte.
Büttel hatte darauf eine verblüffende Antwort parat: Er landete erst gar nicht! Als der Zeppelin etwa eineinhalb Meter über dem Dach schwebte, hängte er abrupt den Pilotenberuf an den Nagel, schnappte sich das Transparent und sprang damit aus dem Korb auf eine kleine freie Dachfläche. Meine Wenigkeit schwebte führerlos, wenn auch sehr majestätisch weiter. Schon mein Leben lang hatte ich dem Traum vom Fliegen nachgehangen und mir oft vorgestellt, wie es denn so wäre, ganz allein ein Fluggerät zu steuern. Aber mit der konkreten Situation konfrontiert, geriet ich nun doch in arge Zweifel darüber, ob dies wirklich meine wahre Bestimmung sei. Kurzum, ich war drauf und dran, mir vor Angst in die imaginäre Hose zu machen.
»Kleiner Freund, spring zu mir herunter, wenn du morgen nicht fünfzig Kilometer von hier entfernt sein willst!«, rief mir ein immer kleiner werdender Lars Büttel von unten zu und schoss dazu noch eine dröhnende Lachsalve ab. Er schien trotz der delikaten Situation bester Laune zu sein. Ein echter Abenteurer halt, der mir von Minute zu Minute sympathischer wurde. Jedenfalls musste er mir das nicht zweimal sagen. Ich visierte einen niedrigen Schornstein an, hechtete aus dem Korb und landete sicher auf dem Schornsteinaufsatz. Kaum hatte ich mich in Sicherheit gebracht, blickte ich dem Zeppelin voller Wehmut nach, wie er gleich einer überdimensionierten silbrigen Feder gemächlich in den strahlenden Himmel davonschwebte. Ein kleiner Tagesausflug darin hätte mir bei diesem Wonnewetter sicher gutgetan und wäre
der Höhepunkt dieses Sommers gewesen. Aber was half’s, ich musste meine Herzensdame(n) retten.
Mein Blick wanderte die endlose Dachkante entlang zum Park. Dort herrschten inzwischen Verhältnisse, vergleichbar der Französischen Revolution. Die bunt gescheckten Soldaten der Animal Army strömten, liefen, stolperten und schlugen sich zum Gebäude durch, als gelte es, das Versailles des despotischen Sonnenkönigs in Trümmer zu legen. Ihnen dicht im Nacken saßen die schwarz gekleideten Security-Mannen, welche die Eindringlinge stoßend, zurückreißend und mit dem Schlagstock malträtierend daran zu hindern versuchten. Zudem noch die Pressefritzen mit ihren Kameras und Mikrofonen, die das anarchistische Geschehen fein säuberlich dokumentierten. Und nicht zu vergessen, die überall herumwuselnden und enervierend miauenden Unsrigen. Mittlerweile waren auch Streifenwagen der Polizei eingetroffen. Mehrere Dutzend Beamte hetzten den unterschiedlichen Zoffbrüdern hinterher, wobei ihnen beim atemlosen Sprint die Mützen vom Kopf flogen. Lars Büttel hatte schon jetzt erreicht, wonach er getrachtet hatte: größtmögliche Aufmerksamkeit für seine Sache. Wo war der Kerl eigentlich abgeblieben? Ich schaute mich rasch um.
Da war er ja! Der safaribehelmte Hüne rannte mit seinem zusammengerollten Riesentransparent auf einem Metallrost zur Stirnseite des Daches. Dabei vollführte er notgedrungen einen Slalom, weil immer wieder stolz aufragende Schornsteine und zimmergroße Gauben seinen Weg kreuzten. Offensichtlich suchte er gerade die geeignetste Stelle zum Hinabrollen des Transparents. So verschwand er öfters hinter den Backsteinhindernissen, um im nächsten Moment mit
seinem Titanenhintern wieder aufzutauchen. Wie konnte man so viel Masse mit sich tragen und gleichzeitig so wieselflink sein?
Unten im Park erstarb allmählich alles Geschrei, die Balgereien kamen zum Erliegen. Die Performance des Chefanarchisten in luftiger Höhe beanspruchte alle Aufmerksamkeit. Die sich bekämpfenden Parteien reckten die Köpfe zu dem Mann auf dem Dach hoch, dem Höhenangst offenkundig ein Fremdwort war. Beiden Seiten entfuhren dabei wechselseitig »Ahhs!« und »Ohhs!«, die von der einen Seite bewundernd, von der anderen missbilligend klangen. Jedenfalls waren alle Blicke auf den Helden gerichtet, der es geschafft hatte, die Zitadelle zu erobern, während das Fußvolk sich im kleinlichen Gezänk erging. Auch ich konnte nicht umhin, Lars Büttel meinen Respekt zu zollen.
Dann musste Büttel wieder einen Haken schlagen, weil ihm der nächste monolithische Schornstein im Wege stand. Für Sekunden verschwand er von der Bildfläche, sodass
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