Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
erschien mir in diesem Moment als keine allzu reizvolle Option.
»Was für einen Geist?« Einige weitere Informationen aus Peele herauszuholen war sicherlich der schnellste Weg, um ihn abzuwimmeln. Je nachdem, was er mir erzählte, konnte ich ihn so gut wie sicher zu jemandem führen, der den Job übernehmen konnte. Wenn es ein wohlwollender Jemand war, könnte ich vielleicht sogar so etwas wie eine Provision beanspruchen. »Ich meine, wie verhält er sich?«
»Bis letzte Woche war er völlig harmlos«, sagte er und klang nur leicht besänftigt. »Zumindest in dem Sinn, dass er nichts offensichtlich Aggressives tat. Er war einfach da. Ich weiß, das ist eine ziemlich weitverbreitete Erscheinung, aber dies …« Er stolperte über das, was er auszudrücken versuchte, und nahm einen zweiten Anlauf. »Ich habe so etwas noch nie zuvor erlebt.«
Wir treffen sie oft, selbst heute noch: Leute, die aus reinem Glück oder aufgrund ihres Lebensstils oder aus klar erkennbaren Gründen der geografischen Lage noch nie einem Auferstandenen, ob Geist oder Zombie, begegnet sind. Pen nannte solche Leute Vestalinnen, um sie von Jungfrauen im konventionelleren Sinn zu unterscheiden. Aber Peel hatte soeben seine spektrale Jungfräulichkeit verloren, und es lag auf der Hand, dass er darüber sprechen wollte.
»Das Bonnington-Archiv befindet sich in Euston«, begann er. »Im Churchway, unweit dem Ende der ehemaligen Drummond Street. Wir sind spezialisiert auf Karten, Pläne und Originaldokumente – mit einem engen Bezug zu London, natürlich, weil die Corporation of London und die JMT der Stadtbezirke einen Großteil unserer Kosten tragen.« Er übersetzte die Abkürzung mit der Routine eines Mannes, der es gewohnt war, sich in seiner Fachsprache mitzuteilen und nicht verstanden wird. »Joint Museums and Trusts – eine Initiative des Bürgermeisters. Wir haben außerdem eine Sammlung maritimer Artefakte, die vom Büro der Admiralität und der Seamen’s Union unterstützt wird, und eine ansehnliche Büchersammlung von Erstausgaben, einigermaßen planlos erworben …«
»Der Geist sucht das Archiv selbst heim?«, unterbrach ich ihn, aufgeschreckt durch die Aussicht, mir eine ausführliche Liste anhören zu müssen. »Seit wann genau?«
»Seit letzten Sommer. Vielleicht seit Mitte September oder so. Im Oktober herrschte Ruhe, aber jetzt ist er wieder da, und ist unerträglicher als je zuvor. Ausgesprochen gefährlich. Gewalttätig.«
»Treten die Sichtungen gehäuft auf? Ich meine, ist der Geist immer nur in einem bestimmten Raum zu sehen?«
»Eigentlich nicht, nein. Er – er wandert meist nur umher. Innerhalb fester Grenzen. Ich glaube, man hat ihn schon in fast jedem Raum im Parterre und im Keller gesehen. Manchmal – weit weniger häufig – in den oberen Etagen.«
Dieser peripatetische Aspekt war ungewöhnlich und weckte mein Interesse. »Sie sagen ›wandern‹ – daher nehme ich an, dass seine Gestalt erkennbar menschlich ist.«
Diese Frage erschreckte Peele anscheinend ein wenig. »Ja. Natürlich. Gibt es denn welche, die das nicht sind? Er sieht aus wie eine junge Frau mit dunklem Haar. Bekleidet mit einer Haube und einem weißen Kleid oder Mantel. Nur das Gesicht …« Erneut kämpfte er offenbar mit einem Wort oder einem Aspekt, den er nicht genau benennen konnte. »Das Gesicht ist schwer zu erkennen«, meinte er schließlich.
»Wie verhält der Geist sich?« Ich sah auf die Uhr. Ich musste Pen immer noch gestehen, dass ich bei der Party ziemlich versagt hatte, und nun war da auch noch Rafis Brief, der mir Rätsel aufgab. Je schneller ich diese Mitleidsnummer hinter mich brachte und mich um meine Angelegenheiten kümmern konnte, desto besser. »Sie sagten, er sei bis vor Kurzem harmlos gewesen.«
Am anderen Ende der Leitung entstand eine Pause, die so lange dauerte, dass ich schon fragen wollte, ob Peele überhaupt noch am Apparat war, als er endlich antwortete.
»Meist stand er einfach da, wenn die Leute ihn sahen – vor allem am Ende des Tages. Man spürte etwas wie den Windhauch, wenn eine Tür aufgeht, und man drehte sich um und sah ihn. Wie er einen beobachtete.« Vor den letzten Worten klaffte eine bedeutungsvolle Pause: Peele durchlebte anscheinend in Gedanken ein unangenehmes Ereignis. »Nicht aus nächster Nähe. Sondern vom anderen Ende des Raums oder vom unteren Ende einer Treppe. Wir haben sehr viele Treppen. Das Haus hat einen sehr eigenwilligen Stil mit sehr vielen …« Er kam wieder auf die
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