Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
Vom Netzwerk:
Schlüssel aus dem Raum mitgenommen oder bei der Leiche zurückgelassen?
    Die Fragen hatten eine ernüchternde Wirkung. Rich konnte sich mit seiner Tat auseinandersetzen, indem er sie auf sachliche, distanzierte Art beschrieb. Als er seinen Bericht beendet hatte, war er völlig ruhig. Damjohn befahl ihm, nach Hause zu gehen und sich zu säubern, und zwar gründlich, und dabei besonders auf seine Fingernägel und auf das zu achten, was sich möglicherweise darunter festgesetzt hatte. Er sollte außerdem die Schlüssel über Nacht in Bleichmittel legen und sie danach in einem Wassertopf kochen. Seine Kleidung müsse er verbrennen, aber nicht im Garten, wo ihm die Nachbarn zuschauen könnten. Das Beste wäre, meinte Damjohn, nachts zu einem abgelegenen Gelände zu fahren, sie mit Benzin zu tränken, sie anzuzünden und lange genug in der Nähe zu bleiben, um sicherzugehen, dass von ihnen nur noch ein Häufchen Asche übrig blieb.
    Rich befolgte die Anweisungen aufs Wort. Sich nach einem festen Programm richten zu können war eine Hilfe, ebenso das Gefühl, dass jemand anders die Entscheidungen traf. Als er Snezhna geschändet und ermordet hatte, war es ihm vorgekommen, als wäre er aus den Schienen seines Lebens gesprungen und haltlos durch den leeren Raum gerast. Nun kam es ihm vor, als wäre er auf der anderen Seite der Schlucht gelandet, und alles ergäbe wieder einen Sinn.
    Dennoch erschien ihm das Wochenende quälend unwirklich. Er wanderte durch seine Wohnung, hatte Angst auszugehen, hatte Angst, von jemandem gesehen zu werden, hatte sogar Angst zu telefonieren. Seine Hand, die er sich mit einem der Schlüssel verletzt hatte, als er Snezhna schlug, pulsierte hypnotisch und schwoll heftig an. Er badete sie in TCP und schluckte in einem fort Cocodamol-Schmerztabletten.
    Es gab ein Gedicht von T. S. Eliot über einen Mann, der ein Mädchen ermordete, in seinem Badezimmer in eine Wanne Desinfektionslösung legte und am Ende nicht mehr wusste, ob er oder das Mädchen tot war. So ähnlich kam Rich sich vor, jedenfalls beschrieb er es so – und die Qualen, die seinen Geist heimsuchten, verliehen seinen Worten durchaus einiges an Gewicht.
    Scrub erschien am Samstagnachmittag, um eine Nachricht von Damjohn zu überbringen: Alles sei geregelt. Rich dürfe auf keinen Fall die Geheimräume betreten. Sie seien einstweilen für ihn gesperrt. Aber die Leiche sei weggeschafft worden, und niemand könne sie je mit ihm in Verbindung bringen. Jetzt sei er Mister Damjohn einen Riesengefallen schuldig, um den er, da konnte er sich absolut sicher sein, eines Tages gebeten werden würde. In der Zwischenzeit solle er am Montag wieder zur Arbeit erscheinen, als wäre nichts geschehen. Mister Damjohn fände es gar nicht spaßig, wenn Rich Aufmerksamkeit erregen würde, indem er sich krankmeldete, in der Öffentlichkeit in Tränen ausbräche, seinen dienstlichen Pflichten nicht nachkäme oder was auch immer.
    Es sei eine absolute Ironie, meinte Rich mit einem von Schluchzern unterbrochenen bitteren Lachen. Er war plötzlich wie eins der Mädchen in den Apartments. Man schrieb ihm vor, was er zu tun und zu sagen habe und wie er sich verhalten solle. Zugleich musste er seine eigenen Gefühle unterdrücken und seiner Umwelt etwas vorspielen, worunter er irgendwann zusammenbrechen würde.
    Aber er zwang sich, zu tun, was von ihm erwartet wurde. Er duschte, rasierte sich, zog sich an und ging zur Arbeit. Er hatte das Gefühl, als wandelte er durch eine völlig verzerrte Halluzination, die auf seinem früheren Leben basierte, aber niemand achtete auf ihn oder schien ihm irgendetwas Seltsames anzumerken. Er ging mittags in den Lesesaal hinunter und blätterte sämtliche Zeitungen von der ersten bis zur letzten Seite durch: nirgendwo eine Notiz über eine weibliche Leiche mit zerfleischtem Gesicht, die in Somers Town oder irgendwo anders in London gefunden worden war.
    Wie immer erwies die Normalität sich für Rich als heilsam. Er absolvierte den Tag ohne Ausrutscher, ohne Anzeichen, dass sich irgendetwas bei ihm verändert hatte. Er schaffte es sogar, einen »Unfall« mit einer Schublade vorzutäuschen, der als Erklärung für seine verletzte Hand herhalten konnte und ihm erlaubte, sie mit einer Bandage zu bedecken, bis sie vollkommen abgeheilt war. Er riss sich zusammen und sah zu, dass er die Phase irrwitziger Unstetigkeit, die der Mord in seinem Leben in Gang gesetzt hatte, so heil wie möglich überstand.
    Um siebzehn Uhr dreißig (nach

Weitere Kostenlose Bücher