Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
diese Fantasie, bis er sich entschloss, sie in die Tat umzusetzen. An einem Freitag blieb er länger am Arbeitsplatz, bis alle anderen Feierabend gemacht hatten, verabschiedete sich von Frank und umrundete einige Male den Block, bis das Licht am Empfang erloschen war. Dann betrat er das Haus durch den geheimen Eingang und stieg hinab in den Keller.
Snezhna schlief. Der Prozess des Präparierens war für die meisten Mädchen eine körperlich wie psychisch zerstörerische Erfahrung. Sie schliefen die meiste Zeit, wenn sie niemand missbrauchte, belehrte oder bedrohte. Rich legte sich neben sie, erzählte er mir – in Wahrheit auf sie, wie seine Erinnerung mir verriet – und küsste sie auf den Mund.
Sie erwachte in Furcht, zu ängstlich, um sich zu wehren, jedoch voller Panik, der ganze Prozess werde wieder von vorn anfangen. Sie verkrampfte sich innerlich, um diese neue Qual zu ertragen, und erkannte dann, wer sich bei ihr auf der Matratze befand.
Augenblicklich änderte sich ihre Haltung. Aus hölzerner Gefasstheit wurde heftige Wut, und sie überschüttete ihn mit einer Flut Schimpfwörter, während sie auf ihn einschlug. Sie wollte ihm die Augen auskratzen und hätte es auch fast geschafft, aber er bekam ihre Arme zu fassen und setzte sein Gewicht ein, um sie festzunageln. Dabei schrie sie und spuckte ihm ins Gesicht: »Schwein! Judas! Monster! Heuchler! Satan!«
Rich geriet auch in Wut. Alles, was er wollte, war Sex. Das konnte nach dem, was Snezhna schon durchgemacht hatte, doch nicht so schlimm sein. Er verfolgte zielstrebig seine Absicht, und sie kämpfte mit aller Kraft, um ihn von sich fernzuhalten. Die Einzelheiten verschwammen, sowohl im Hinblick auf das, was er mir erzählte, als auch auf das, woran er sich erinnerte. Da waren Schmerzen. Seine Hand stieg hoch und zuckte herab. Seine Faust hatte die Schlüssel gepackt wie einen Dreschflegel, und Schmerzen tobten jedesmal, wenn sein Arm herunterfiel, in seinem Handgelenk. Da waren auch Sex und ein heftiger, bebender Höhepunkt wie ein epileptischer Anfall, aber alles war in seinem Geist vermischt ohne irgendeine deutliche zeitliche Abfolge. Er wusste nicht – wollte nicht wissen, ließ nicht zu, dass er es wusste –, ob die Frau noch lebte oder bereits tot war, als er sie vergewaltigte. Aber wenn sie zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hatte, war sie kurz danach gestorben.
Als er begriff, was er getan hatte, überrollte ihn ein Gefühl der Panik, die in seiner Erinnerung fast ebenso überwältigend war wie zum Zeitpunkt des Geschehens. Er saß lange in dem Raum neben Snezhnas Leichnam, nicht fähig, einen zusammenhängenden Gedanken zu entwickeln. Er erinnerte sich, mit ihr und mit sich selbst gesprochen zu haben. Er erinnerte sich, gelacht zu haben wie ein Wahnsinniger und gewimmert wie ein geprügelter Hund. Er dachte darüber nach, was Damjohn tun würde, wenn er es herausbekäme. Er fragte sich, welche Art von qualvollem Tod ihm blühte. Dann sagte er sich, sie sei doch nur eine Hure gewesen. Er konnte in Kürze wieder nach Osteuropa reisen, Ersatz finden, und alles wäre wieder ausgeglichen. Damjohn wäre es egal. Er würde ihn vom Haken lassen. Aber schon nach ein oder zwei Sekunden überfiel ihn wieder das kalte Grauen, und er war dort, wo er angefangen hatte.
Schließlich, ein oder zwei Stunden später, riss Rich sich allmählich zusammen und dachte über die lähmende Panik dieses Augenblickes hinaus. Er musste Damjohn Bescheid sagen. Diese Sache konnte er niemals verschweigen, und es gab keinen Ort, an den er sich hätte flüchten können, ohne schon in Kürze dort aufgestöbert zu werden. Indem er sich bemühte, nicht auf die Matratze zu blicken, säuberte er sich mit der Decke, so gut es ging, und humpelte dann die Treppe hinauf. Dabei war die Angst eine Last, unter der er jeden Moment zusammenbrechen und die Treppe wieder hinabstürzen zu müssen glaubte.
Er rief Damjohn im Stripteaseclub an – unter der IN-Nummer, denn wenn man irgendetwas als Notfall bezeichnen konnte, dann ganz sicher dies. Er legte ein lückenhaftes, undeutliches Geständnis ab, auf das weder eine wütende noch eine nachsichtige Reaktion erfolgte. Die Stimme am anderen Ende signalisierte eisigen Pragmatismus. Damjohn wollte Details wissen. Wo war die Leiche? In welchem Zustand war sie? Wie war Snezhna gestorben? Hatte Rich daran gedacht, die Tür hinter sich abzuschließen, als er gegangen war? Hatte er in ihr ejakuliert? Hatte er ein Kondom benutzt? Hatte er die
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