Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
hätte Snezhnas Geist exorziert. Daher sitzt Sie mit Ihnen in einem Boot. Sie weiß genug, um die Polizei auf Damjohn zu hetzen. Er wird wahrscheinlich Sie beide töten, wenn sich erst einmal der Staub gelegt hat, der durch die ganze Angelegenheit aufgewirbelt wurde – und der einzige Grund, weshalb Sie noch frei herumlaufen dürfen, ist der, dass Ihr Verschwinden im Augenblick zu verdächtig wäre.
Ihre einzige Chance, lebend aus dieser Sache herauszukommen, besteht darin, mit mir zusammenzuarbeiten. Verstehen Sie?«
Er sah langsam hoch und nickte. »Sie behalten es für sich?«, fragte er, wobei sich ein weinerlicher Ton in seine Stimme schlich. »Sie erzählen doch niemandem etwas …?«
Die aufgestauten Emotionen der zurückliegenden halben Stunde entluden sich jäh. Ich explodierte. »Mein Gott, natürlich werde ich nicht alles für mich behalten!«, rief ich. »Sind Sie denn völlig krank in Ihrem gottverdammten Kopf?« Er zuckte vor dem hasserfüllten Ausdruck meiner Stimme zurück und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Ich wedelte mit seinen Schlüsseln vor seiner Nase herum. »Die einzige Möglichkeit, die ich Ihnen lasse, ist die Wahl zwischen einer Gefängnisstrafe wegen Mordes oder einem sofortigen Ende. Entscheiden Sie sich schnell! Ich werde noch woanders erwartet.«
Aber Rich schüttelte den Kopf. Ich hatte ihn zu sehr bedrängt, und er wehrte sich plötzlich. »Nein«, sagte er. »Nein. Das kann ich nicht. Ich kann nicht ins Gefängnis gehen.«
»Ich denke, es wird Ihnen besser gefallen als die andere Option«, versicherte ich ihm mit grimmiger Miene.
»Ich kann nicht!«, heulte er und rutschte auf Händen und Knien und mit hängendem Kopf über den Boden. »Ich kann nicht!«
Ich hielt mich zurück, da ich erkannte, dass ich nicht mehr viel aus ihm herausbekäme, bis ich ihm über die alles verschlingende Woge der Panik hinweggeholfen hätte. Ich konnte es kaum erwarten, aktiv zu werden, und mir war nur zu bewusst, wie viel davon abhing, dass ich zuerst an Rosa herankam, ehe Damjohn die Nerven verlor. Aber ich musste mich bremsen. Ich durfte keinen weiteren Druck auf Rich ausüben, wenn ich nicht wollte, dass er total zusammenbrach.
Es war nicht mehr meine Entscheidung. In diesem Augenblick begann sich die Dunkelheit in den Ecken des Raums auszudehnen und zu fließen. Rich hatte es nicht bemerkt, denn er war unfähig, überhaupt etwas wahrzunehmen, aber was immer auch geschah, er stand im Mittelpunkt. Die Schatten glitten auf ihn zu, umflossen ihn wie Wasser, das einen Strudel über einem Abfluss bildet. Es sah nicht aus, als wäre sie es, aber ich wartete seit mehr als zehn Minuten auf ihre Reaktion, daher erkannte ich sie, als es geschah.
Ich denke, es hätte mich nicht überraschen dürfen. Gut, sie kämpfte gegen die Anziehungskraft dieses Raums an, seit sie gestorben war, aber Richs glühende Emotionen waren wie ein Leuchtfeuer in finsterer Nacht und in der Hoffnungslosigkeit des Todes. Daher hatte sie kommen müssen.
Nur kam sie nicht als sie selbst. Keine Frau beugte sich über Rich, während er sich auf dem Boden wand und klagte. Es war nur die Dunkelheit, die sich auf ihn herabsenkte und sich verdichtete.
Als er endlich erkannte, dass irgendetwas mit ihm geschah, schaute er mich erschrocken an, als glaubte er, dass ich ihn mit irgendetwas austricksen wollte. Er hob die Hände und versuchte, die Schatten zu vertreiben. Es war völlig umsonst. Er stieß einen erstickten Schrei aus und rollte sich zur Wand. Das Dunkel folgte ihm, konzentrierte sich über seinem Gesicht und sank in ihn hinein.
»Castor!«, schrie Rich. »Schicken … Sie es weg … lassen Sie nicht zu … dass es …«
Ich rührte mich nicht. Ich hätte höchstwahrscheinlich sowieso nicht viel tun können. Jedenfalls nicht in diesem Augenblick. Die Schatten sanken ein und durchdrangen Richs Haut, eingesogen durch eine Art psychischer Osmose. Sein Schrei wurde unverständlicher, erstickter, unmenschlicher. Seine Hände schlugen wild durch die Luft, zielten auf sein Gesicht, krallten sich hinein.
Nur dass er eigentlich kein Gesicht mehr hatte, jedenfalls war nicht mehr viel davon vorhanden – von der Stirn bis zur Oberlippe war es nur noch eine tiefrote Fleischmasse. Braunes Haar kräuselte sich darüber, und den Mund, der darunter aufklaffte, rahmten blutrote Lippen ein.
Die Illusion – falls es eine war – blieb für die Dauer eines tiefen Atemzugs erhalten. Dann war sie verschwunden, als hätte
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