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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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einer halben Überstunde – wie es seinen alltäglichen Gewohnheiten entsprach) ging er nach Hause, nahm sein Abendbrot ein, setzte sich vor den Fernseher und trank ein Bier. Gut, gegen zweiundzwanzig Uhr strich er die Segel und ging zu Bett, erschöpft von der emotionalen Intensität des ereignislosen Tages, aber dennoch, er hatte es geschafft, und wenn es ihm einmal gelungen war, dann würde er es auch so oft schaffen, wie er musste.
    Dann, am Dienstag, stürzte seine Welt in sich zusammen. Eine der weiblichen Teilzeitkräfte kam schreiend aus einem der Tresorräume im Keller. Sie hatte einen Geist gesehen: eine Frau ohne Gesicht. Als Rich das hörte, flüchtete er auf die Herrentoilette und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Es dauerte eine halbe Stunde, ehe er es wagte herauszukommen, und er verbrachte den Rest des Tages damit, sich aus den aufgeregten Diskussionen, den reißerischen Spekulationen herauszuhalten. Er wusste, er würde seine Fassade nicht aufrechterhalten können, wenn er sich dazu äußern müsste. Er musste tun, als distanzierte er sich in jeder Hinsicht von einem derart kindischen Thema.
    Mittwochs meldete er sich krank. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, mit Snezhna im Magazin zusammenzutreffen, ihr von Angesicht zu Angesicht oder, genauer, von Angesicht zu Nicht-mehr-Angesicht an einem dunklen Ort gegenüberzutreten, wo niemand ihn schreien hören konnte. Er erklärte Alice, er habe sich eine Darmgrippe eingefangen. Dann zog er die Vorhänge zu und versteckte sich.
    Irgendwie erfuhr Damjohn davon. Rich erhielt einen weiteren Besuch von Scrub, und dieser war beträchtlich schmerzhafter als der erste. Scrub wollte Rich zu verstehen geben, dass Mister Damjohn von seinen Angestellten ein Höchstmaß an professionellem Verhalten erwartete, vor allem im Hinblick darauf, dass sie gefälligst zu tun hätten, was man ihnen verdammt noch mal befahl. Er unterstrich seine Argumente sinnfällig mit Alltagsobjekten aus Richs Küche, um klarzumachen, was geschehen würde, wenn Rich Mister Damjohn in dieser Hinsicht enttäuschte. Er erinnerte Rich außerdem daran, dass er, wenn er sich nicht zusammenriss, am Ende mit einer Anklage wegen Mordes rechnen müsse. Er hatte – laut Scrubs anschaulicher Ausdrucksweise – einen scheißgroßen Haufen zu verlieren.
    Rich gab sich Mühe, allerdings mit durchwachsenem Erfolg. Er konnte am nächsten Tag ins Bonningtonarchiv zurückkehren und seine Arbeit wieder aufnehmen, wobei jeder sehr rücksichtsvoll mit ihm umging, da nicht zu übersehen war, dass er nach Überstehen seiner Krankheit immer noch ein wenig wacklig auf den Beinen war, und schaffte es, sich auch an den anderen Tagen tapfer zu halten, obgleich er sich vorkam wie ein zum Tode Verurteilter, dessen Hinrichtung nicht genau festgelegt worden war, sondern jeden Moment ohne Vorankündigung vollzogen werden könnte.
    Als das Schlimmste geschah und er schließlich mit dem Geist zusammentraf, nicht in einem Tresorraum, sondern mitten in einem Korridor, machte er sich in die Hose – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, als ihn der Schreck mit derart elementarer Wucht traf, dass er völlig vergaß, wer er war und wo er sich aufhielt. Als er wieder denken konnte, lag er ausgestreckt auf dem Boden hinter einem Schreibtisch in einem leeren Tresorraum. Die nasse Hose klebte an seinen Beinen, und seine Hände zitterten so, dass er sie nicht zu Hilfe nehmen konnte, um sich aufzurichten.
    Sobald er wieder gehen konnte, stand er auf und verließ schnurstracks das Gebäude. Er wusste, wenn er jetzt mit jemandem zusammenträfe und irgendetwas sagen müsste, würde er zusammenbrechen.
    Am Abend suchte Rick Damjohn im Kissing the Pink auf. Zu seinem Schrecken fand Damjohn die Situation unendlich amüsant. Oh, das Ganze hatte natürlich auch einen ernsten Aspekt: Eine Frau, in die er einiges an Geld und Zeit investiert hatte, war jetzt tot, und der abschließende Reinigungsprozess war mit nicht unerheblichen Unannehmlichkeiten verbunden gewesen. Aber er sei, wie er Rich erklärte, jemand, der finde, dass die Strafe stets dem jeweiligen Vergehen gerecht werden müsse – und in diesem Fall passe alles bestens zusammen.
    Kurzum, er riet Rich zu lernen, damit zu leben, und wiederholte beiläufig die Drohungen, die Scrub schon ausgesprochen hatte. Falls Rich feststellen sollte, dass er nicht damit leben könne, gäbe es eine andere Option, die für Damjohn den gleichen Zweck erfülle. Rich könne es sich

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