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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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alle.«
    Pen sprach nur gern über ihre jeweils aktuellen Pläne, schnell reich zu werden. Die Tatsache, dass sie nachher immer ärmer war als zu Beginn, war eine Wahrheit, die sie ungenießbar fand.
    »Wie schlimm ist es?«, fragte ich.
    »Ich brauche vor Ende des Monats ein paar Tausend«, seufzte sie. »Wenn das Geld von den Partybuchungen reinkommt, geht es mir gut. Aber im Moment hilft jedes bisschen.«
    Ich wusste, wann ich besiegt war. Ich gab ihr einen Gutenachtkuss, ging nach oben in mein Zimmer und warf mich erschöpft aufs Bett. Etwas in der Hosentasche bohrte sich in meinen Oberschenkel, daher bog ich den Rücken durch, suchte herum und zog den Übeltäter ans Licht. Es war eine leere Spielkarte.
    »Nach dem endgültigen Nein kommt ein Ja, und dazu wird es kommen, ehe die Nacht vorüber ist«, hatte Asmodeus gesagt.
    »Du Bastard«, brummte ich.
    Ich schleuderte die Karte in eine Zimmerecke, knipste das Licht aus und legte mich angezogen, wie ich war, schlafen. Die Nummer des Bonnington-Archivs stand im Telefonbuch, und ich hatte den Briefumschlag mit Peeles Privatnummer darauf. Aber es hatte keinen Sinn, vor Tagesbeginn anzurufen.

4
    Z wischen Regent’s Park und King’s Cross gab es eine Ansammlung von Straßen, die früher eine Stadt gewesen waren. Somers Town hatte sie geheißen, und auf Stadtplänen hieß diese Gegend immer noch so, obwohl es kein Name war, den die Bewohner allzu oft benutzten.
    Es war einer dieser Orte, die die Industrielle Revolution grauenhaft verstümmelt hatte, und er hatte sich davon nie richtig erholt. Mitte des 18. Jahrhunderts fand man dort vorwiegend Äcker und Obstgärten, und reiche Männer bauten dort ihre Villen und Landsitze. Hundert Jahre später war es ein übel riechendes Elendsviertel und eine Gaunerkolonie – einer der Orte, die Charles Dickens das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen und seine Feder schärften. St. Pancras Station saß in der Mitte wie eine große, bombastische Hochzeitstorte, aber Somers Town insgesamt war zerschnitten von Straßen, Eisenbahngleisen, Güterbahnhöfen, Lagerhäusern und der alten, kommerziellen Logik eines neuen Zeitalters. Jetzt war es kein Elendsviertel mehr, aber hauptsächlich deswegen, weil es kein Ort mehr war. Es war eher der Stumpf einer amputierten Gliedmaße. Jede Straße, durch die man ging, teilte eine Eisenbahnkreuzung oder eine Unterführung oder endete an einer kahlen Mauer, die sich gewöhnlich als Teil der grauen, modernden Außenhaut der Euston Station entpuppte.
    Das Bonnington-Archiv stand in einer dieser abgeschnittenen Alleen unweit der Nord-Süd-Achse der Eversholt Street, die Camden Town mit Bloomsbury verbindet. Der Rest der Straße bestand hauptsächlich aus Lagerhäusern, Bürogebäuden und Schnelldruckereien mit staubblinden Fenstern und einem gelegentlichen Exoskelett aus Baugerüsten. Doch in der Ferne, auf der anderen Seite der Eisenbahngleise, befand sich ein Wohnblock aus den Dreißigerjahren, bestehend aus braunem Klinker und rostrotem Schmiedeeisen, dessen baufällige Balkone von Wäscheleinen voller zum Trocknen aufgehängter Damenhöschen, die wie Kapitulationsfahnen erschienen, geschmückt wurden – und bizarrerweise auch mit einer weißen Jungfrau-mit-dem-Jesuskind-Skulptur über dem Portikus des Haupteingangs, da der Block den Namen Saint Mary’s trug.
    Das Bonnington-Archiv stach aus den niedrigen Betonmonstrositäten ringsum hervor wie eine alte Jungfer aus herumliegenden Säufern. Es sah aus, als stammte es aus dem neunzehnten Jahrhundert, in dunklem Klinker, vier Stockwerke hoch mit akkuraten Mustern im Mauerwerk unter dem Fenster, die aussahen wie ein vertikales Parkett. Mir gefiel es. Es hatte das Aussehen eines Palastes, der den Launen eines hohen Verwaltungsbeamten entsprungen war, der ein Lehen hinterlassen wollte, jedoch vorher gestorben war wie Ferdinand der Erste, ehe er einen Fuß über die Schwelle seines Belvederes hatte setzen können. Aus der Nähe betrachtet war jedoch deutlich zu erkennen, dass dieser Palast schon vor langer Zeit aufgeteilt und erobert worden war: eins der Parterrefenster wurde von einer angenagelten Hartfaserplatte bedeckt, und ein Eingang dicht daneben war mit Gerümpel und alten, durchnässten Kartons verstopft. Die eigentliche Tür des Archivs befand sich zwanzig Meter weiter, obgleich sie aussah, als wäre sie Teil desselben Gebäudes.
    Die vierfach getäfelten Doppeltüren bestanden aus lackiertem Mahagoni, am unteren Rand reichlich mit

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