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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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und setzte mich hin, und der Wächter erfand irgendetwas, was er am Pult zu tun hatte. Es war der durchschaubare Versuch, einen arbeitsamen und effizienten Eindruck zu erzeugen. Ich schloss die Augen, sperrte ihn aus und versuchte, die schelmische Präsenz wieder aufzuspüren – aber da war nichts zu machen. Die leisen Geräusche, wenn der Wächter sich bewegte, reichten aus, um meine zerbrechliche Konzentration zu stören.
    Einen Augenblick später erklangen Schritte auf der Treppe. Ich schlug die Augen auf und sah zu der Frau hinauf, die herunterkam, um mich zu begrüßen.
    Sie war absolut einen Blick wert. Während ich sie taxierte, setzte ich meine professionell distanzierte Miene auf wie ein Visier, das ich herunterklappte. Ich hätte sie auf Ende zwanzig geschätzt, aber sie hätte auch älter sein können und sich gut gehalten haben. Sie war groß und sehr schmal – drahtig, Fitnesscenter-schlank und nicht einfach nur schlank gebaut –, mit glattem blondem Haar, das zu einem so festen Knoten zusammengerafft war, den man in anderer Gesellschaft als einen Croydon-Facelift hätte bezeichnen können. Aber natürlich nicht hier. Sie war gut – geradezu makellos – gekleidet und trug ein graues zweiteiliges Kostüm, das ganz bewusst und modern einen Herrenstraßenanzug kopierte. Ihre Schuhe waren aus grauem Leder mit fünf Zentimeter hohen Absätzen, schlicht bis auf je eine rote Schnalle an der Seite, wobei das Rot von einem Einstecktuch in ihrer Brusttasche aufgenommen wurde. An ihrer Hüfte, um einen grauen Ledergürtel geschlungen, baumelte ein dicker Schlüsselbund. Mit diesem Accessoire und mit der strengen Frisur sah sie aus wie die Wärterin in jener Art von Frauen-Mustergefängnis, wie es sie nur in italienischen Pornos gibt.
    Dann sagte sie etwas, und genauso wie es vorher bei dem Wächter geschehen war, ließ ihre Stimme alle anderen Details auseinanderbrechen und zu einem ganz neuen Muster zusammenwachsen. Das Timbre war tief genug, um erregend zu wirken, aber der kalte Unterton drosselte meine Reaktion und wies mich in meine Schranken. »Sind Sie der Exorzist?«, fragte sie. Ich erlebte ohne vorherigen Genuss von LSD einen kurzen Flashback zu Dodson, als er sagte: »Sie sind also der Alleinunterhalter.« Zwischen beiden bestand nicht der geringste Unterschied.
    Ich bin das gewöhnt. So charmant, nett und attraktiv ich auch bin, wirft der Job dennoch seinen unvermeidlichen Schatten auf die Art und Weise, wie Leute mich betrachten und mit mir umgehen. Ich sah dieser Hochglanz-Vision direkt in die Augen und erblickte genau das, was sie erblickte: einen Quacksalber, der einen zweifelhaften Service zu einem Spitzenpreis anbot.
    »Ja«, bestätigte ich freundlich. »Felix Castor, und Sie sind …?«
    »Alice Gascoigne«, sagte sie. »Ich bin die leitende Archivarin.« Ihre Hand schoss automatisch vor wie der Kuckuck, wenn die Uhr die Stunde schlägt. Ich ergriff die Hand und drückte sie fest und lange, was mir in der Theorie Gelegenheit gibt, meine ersten Eindrücke etwas zu vertiefen. Ich war nicht übersinnlich begabt, zumindest nicht auf die Art mit all den Bändern und Glöckchen; die Art Personen, die Gedanken anderer Menschen genauso leicht lesen konnte wie eine Zeitung oder Nachrichten aus ihrer möglichen Zukunft empfing. Aber ich war sensitiv. Das gehörte zum Job. Ich hatte meine Antennen auf Wellenlängen eingestellt, die andere Menschen nicht sehr oft benutzten oder nicht bewusst überwachten, und manchmal stimmte Hautkontakt mich stark genug ein, um sofort eine Stimmung, einen oberflächlichen Gedanken, einen flüchtigen Eindruck von einer Persönlichkeit aufzufangen. Manchmal.
    Aber nicht von Alice. Sie war vollkommen abgeschottet.
    »Jeffrey ist in seinem Büro«, sagte sie und zog bei der ersten Gelegenheit die Hand zurück. »Er ist mit einigen zum Monatsende fälligen Reporten beschäftigt und wird Sie nicht empfangen können. Er sagte, Sie sollten den Auftrag ausführen und ihm dann Ihre Rechnung schicken, wann immer es Ihnen behagt.«
    Mein Lächeln tendierte ein wenig in Richtung gequält. Wir starteten wirklich auf dem falschen Fuß.
    »Ich denke«, sagte ich und wählte meine Worte mit Bedacht, »Jeffrey – Mister Peele – hat vielleicht eine falsche Vorstellung davon, wie Exorzismus funktioniert. Ich werde wohl mit ihm sprechen müssen.«
    Alice blieb standhaft, und ihr Ton sank um einige Grade in Richtung null.
    »Ich sagte doch, das wird unmöglich sein. Er ist den ganzen Tag

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