Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
Vom Netzwerk:
Ungeborener ein Problem für die Abtreibungskliniken gewesen waren.
    Jedoch konnten sich weder Rich noch Cheryl daran erinnern, dass Jon Tiler sich je auf die ein oder andere Art und Weise zu diesem Thema geäußert hatte, was mit einiger Sicherheit bedeutete, dass er nicht zu dieser Bewegung gehörte. Um sie zum Schweigen zu bringen, musste man fast zum letzten Mittel greifen und ihnen das Maul mit vermodernden Grabtüchern stopfen.
    »He, Kumpel«, sagte Rich, während er sich rasch erhob. »Ich glaube, Sie haben einen neuen Freund.«
    »Wen, Cheryl?«, fragte ich ein wenig irritiert. Jon konnte er nicht meinen.
    Rich wischte diese Vermutung mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite. »Nein. Cheryl redet eine Menge, wenn der Tag lang ist, aber sie hat niemals Nägel mit Köpfen gemacht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich meine den überdimensionierten Typen in der Ecke.«
    Er deutete nicht mit dem Finger – er verdrehte nur die Augen nach rechts und zurück. Ich folgte seinem Hinweis, ruckte nicht mit dem Kopf herum, sondern nahm mein Glas und ließ den Blick langsam und beiläufig durch die Bar wandern.
    Es war leicht zu erraten, wen er meinte. Einen großen, dicken Typen, der in der Nähe der Tür saß, eingezwängt in eine Nische, die seine beeindruckende Leibesfülle noch imposanter erscheinen ließ. Sein seltsam unästhetischer Körper war in einen altmodischen grauen Fischgrätanzug gezwängt, und was immer auf dem Etikett stehen mochte, es mussten eine ganze Menge X vor dem L sein. Sein kahler Schädel glänzte, und seine blassen, fast farblosen Augen wichen aus, als sie meinen Blick einfingen.
    Während er wegschaute, erlebte ich das abrupte Nachlassen eines Gefühls, das derart schwach gewesen war, dass es meiner Wachsamkeit entgangen war. Es war die Empfindung, die Peele mir am Telefon beschrieben hatte: das Gefühl – wie ein leichter, gleichmäßiger Druck auf meiner Haut –, zu wissen, dass man mich musterte.
    »Gut. Speichern wir das für später«, dachte ich. Ich wusste nicht, wer er war, aber was er war, wusste ich genau, und er wusste höchstwahrscheinlich, was ich war. Das mochte der Grund gewesen sein, weshalb er mich beobachtete. Exorzisten erzeugten in bestimmten Vierteln sehr reale, sehr natürliche Ängste.
    Cheryl kam in diesem Augenblick von der Toilette zurück, was ich als Stichwort benutzte aufzubrechen. Ich entschuldigte mich, gab dem Geburtstagskind einen Kuss auf die Wange und ging.
    Ich lief aus Gründen, die ich nicht benennen konnte, an der Euston Station vorbei und die Eversholt Street hinauf. Möglicherweise hatte ich Lust auf einen Spaziergang, obwohl es noch immer kalt und stürmisch war. Oder ich wählte instinktiv einen Weg, der mich am Archiv vorbeiführen würde.
    Ich befand mich aber auf der anderen Straßenseite, sodass mir, als ich die Frau im Eingang des Bonnington stehen sah, die Arme hängend und den Kopf gebeugt, als erster Gedanke kam, dass Alice nach einem enormen Pensum an unbezahlten Überstunden Feierabend machte.
    Dann registrierte ich die Kapuze und gleich darauf, wie ihr Körper immer verwaschener und schwerer von seiner Umgebung zu unterscheiden war, je weiter man den Blick nach unten wandern ließ. Schließlich hob sie den Kopf, um mich anzusehen, was mich abrupt stoppen ließ, denn der Blick wurde ohne Augen ausgeführt. Die obere Hälfte des Gesichts der Frau war eine formlose, wabernde, homogene rote Fläche. Dunkles Haar, schick gekräuselt, dann kirschrote Lippen, ein süßes, gerundetes Kinn und nichts als Röte dazwischen.
    Was sie an Kleidung trug, war schwerer zu erkennen. Sie war weiß gekleidet, wie jeder es beschrieben hatte, aber wie? Zu wenig war von ihr vorhanden, um es abschätzen zu können. Sie hob einen Arm und deutete auf das Bauwerk, und es war ein nackter Arm, geisterhaft bleich. Es schien, als kämpfte sie gegen die Erdanziehung. Ihre Bewegungen waren mühsam, langsam und schwer wie die der Beine, wenn man im Traum versuchte, vor dem schwarzen Mann zu flüchten.
    Ich riss mich zusammen und trat auf die Fahrbahn – beinahe genau vor einen Routemaster-Bus. Das Blöken seiner Hupe, das hinter ihm durch die Luft hallte, war wie das Brüllen eines verwundeten Tiers, während ich im letzten Moment zurückzuckte.
    Ich dachte, sie sei verschwunden, wobei ihr dramatischer Abgang durch den Bus gedeckt wurde, wie man es aus dem Kino kennt. Aber sie war noch da, und während ich zu rennen begann, versuchte ich, das Gefühl zu

Weitere Kostenlose Bücher