Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
Altarende, wie ich vermutet hatte. Satanisten haben einen Hang zur Sünde, zu Grenzüberschreitungen, Regelverstößen. Sie sind so verdammt berechenbar, dass es noch nicht einmal spaßig ist. Dort, wo ich mich befand, herrschte tiefer Schatten, und ich konnte mich einigermaßen sicher darauf verlassen, dass ich, wenn ich hinter der Wand hervorspähte, nicht gesehen wurde.
Sie waren noch in die Vorbereitungen vertieft. Die mit langen Gewändern bekleideten Gestalten schoben Stühle hin und her, um unterhalb des Altars eine freie Fläche zu schaffen. Einer der Männer – Fanke selbst, dem roten Gewand nach zu urteilen, das Peace mir bereits beschrieben hatte – kniete in der Mitte der Fläche, und ein kratzendes, schabendes Geräusch lieferte mir einen deutlichen Hinweis darauf, was er tat: Er zeichnete den Kreis des Bösen.
Demnach waren die Kiddies auf die eine oder andere Art und Weise beschäftigt. Wenn sie bereits damit begonnen hätten, in einem Ring zu tanzen und zu singen, hätte ich irgendjemandem einen Warnschuss in den Rücken gejagt und wäre wie ein Donnerschlag dazwischengefahren – es wäre eine Wiederholung von Peaces ruhmreichem Auftritt vor einer Woche geworden – aber so wie es aussah, hatte ich Zeit genug, um mein Ass im Ärmel in Position zu bringen. Ich ging auf alle viere hinunter, oder genauer, auf alle drei, denn ich drückte die Filmdosen mit dem linken Arm an meine Brust, und das mit einiger Kraft, damit sie nicht klapperten und mich verrieten. Im Krebsgang verließ ich den Schatten des Altarraums, gelangte zur ersten Bankreihe und schlängelte mich so leise wie möglich hinein. Dann setzte ich meine Last mit äußerster Behutsamkeit ab und packte aus.
Wie bereits angedeutet, ist altes Filmmaterial der wahrscheinlich brennbarste Stoff auf Erden. Für einen Molotow-Cocktail braucht man eine Flasche, einen Stoffstreifen und alle möglichen anderen Utensilien. Zelluloidfilm brennt einfach und verwandelt sich augenblicklich in siedenden Kunststoff, beißenden Rauch und blauweißes Feuer wie die Flamme eines Schneidbrenners. Man braucht nur ein brennendes Zündholz daraufzuwerfen und sollte dann zusehen, dass man möglichst weit weg ist, wenn die Flamme überspringt.
Als Zünder benutzte ich eine Votivkerze, die ich auf dem Weg durchs Querschiff aufgehoben hatte. Es war eine der Kerzen, die heruntergefallen waren, als ich am Abend vorher den Tisch umgestoßen hatte. Die Kerze war gut drei Zentimeter dick, aber ich zerbrach sie mit den Händen und erstickte das Geräusch in meiner Jacke. Ich entfernte die festen, beinahe durchsichtigen Bruchstücke, so dass nur noch der glänzende Docht übrig blieb – eine improvisierte Lunte, steif und mit Wachs getränkt.
Die Geräuschkulisse, die aus dem vorderen Teil der Kirche an meine Ohren drang, hatte sich mittlerweile verändert. Die Schritte waren verstummt und ein rhythmischer Sprechgesang hatte eingesetzt. Ich hoffte, dass die satanistische Liturgie genauso weitschweifig war wie die reguläre. Ich brauchte noch zwei Minuten.
Ich öffnete die Filmdosen, suchte den Anfang des jeweiligen Films, zog jedes Ende etwa dreißig Zentimeter weit aus der Dose heraus und verknotete die Enden miteinander wie die fünf verschlungenen Schwänze des Rattenkönigs aus den alten Volksmärchen. Das untere Ende meiner Lunte schob ich dazwischen und sorgte dafür, dass sie aufrecht stand. Dann zündete ich sie am oberen Ende an. Zuerst brannte sie hell und ruhig, dann wurde die Flamme kleiner, als sich die Kälte und der Hass in den Kirchenmauern auf den kleinen Lichtpunkt konzentrierten. Ich beobachtete die Flamme sekundenlang mit wachsendem Zweifel, aber sie stabilisierte sich. Ich konnte nicht sicher sein, ob sie es schaffte, bis zu den verknoteten Filmstreifen herunterzubrennen, aber es war das Beste, was ich unter diesen Umständen zustande bekam.
Eine einzelne Stimme hatte sich über die gemurmelten Antworten der Altarhelfer erhoben. Fankes Stimme, leise und erregend und ernst. Ich rechnete mit irgendwelchem mittelalterlichem Mumpitz von der Art, dass Luzifer ein guter alter Junge ist und gerne den Ruf der Betenden erhören und ihm folgen wolle, aber dies klang älter – und meine klassischen Griechischkenntnisse reichen nur bis »Wo geht es zur Toilette?« und »Ich möchte Retsina zum Essen«.
»Aberamenthô oulerthexa n axethreluo ôchnemareba«, deklamierte Fanke, und seine Stimme wurde lauter und dröhnender. »Iaô Sabaôth laeô pakenpsôch
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