Felix Castor: Ein Höllenhund kommt selten allein (German Edition)
umsetzte, musste ich noch etwas anderes tun. Ich holte Pauls Mobiltelefon hervor und gab im Dunklen eine Nummer ein, indem ich den erhöhten Punkt auf der Fünf als Orientierung für meinen tippenden Daumen benutzte. Das Rufzeichen erklang laut und deutlich in meinem Ohr – aber nur dort, Gott sei Dank.
»Notrufzentrale. Wohin möchten Sie verbunden werden?« Eine Frauenstimme. Aufgeräumt und unpersönlich.
»Die Polizei«, murmelte ich kehlig.
»Sie werden durchgestellt.«
Ich wartete. Nach etwa zehn Sekunden wurde die Stille durch ein weiteres Rufzeichen unterbrochen. Ein Mann meldete sich. »Polizeirevier Bowater Street. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie können mich mit der Uxbridge Road verbinden«, knurrte ich.
Eine kurze Pause entstand. »Es tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Verbinden Sie mich mit der Uxbridge Road«, wiederholte ich. »Dies ist ein Notfall.«
Ich wartete wieder. Dies war zwar nicht der Weg, den Notrufe nehmen sollten, aber ich wusste, dass die Zentrale jeder Telefonvermittlung eine direkte Leitung zu allen anderen schalten konnte. Falls der Typ weitere Informationen von mir wollte, brauchte ich ihm nur einige Details zu nennen. Anderenfalls …
»Hier ist Uxbridge Road. Haben Sie ein Problem, Sir?«
»Ich habe eine Nachricht«, antwortete ich, »für Detective Sergeant Basquiat. Bestellen Sie ihr, sie komme von Felix Castor. Ich befände mich in der Saint Michael’s Church in der Du Cane Road, und dass Anton Fanke ebenfalls dort ist. Sagen Sie ihr, sie solle sofort hierherkommen – und reichlich Kollegen mitbringen.«
Ich unterbrach die Verbindung und steckte das Telefon ein. Ich hatte jetzt zwei Joker ins Spiel gebracht, und das müsste eigentlich in jedem Fall ausreichen. Ganz gleich, was als Nächstes geschah und was mir dabei zustoßen sollte, ich konnte mich damit trösten, dass Fanke und seine religiös fehlgeleiteten Freunde erhebliche Probleme haben würden, das Gebäude lebend oder ungehindert zu verlassen.
Ich stand so langsam und gleichmäßig auf, wie ich konnte, und schlich mit gebeugten Knien zwischen den Grabsteinen hindurch, damit mein Kopf vor dem Himmel nicht zu erkennen war. Auf den ersten zehn Metern war ich für beide Männer deutlich zu sehen, falls sie sich zufällig umdrehten. Ich verließ mich darauf, dass die dichten Schatten meine Aktionen verbargen und dass der ferne Straßenlärm jeden Laut erstickte, den ich möglicherweise erzeugte. Trotzdem bewegte ich mich so vorsichtig wie möglich, hob kaum einen Fuß vom Boden, damit ich nicht auf einen Zweig oder eine leere Getränkedose trat und damit meine Anwesenheit verriet.
Sobald ich weit genug gelangt war, dass mir die Sakristeimauer die nötige Deckung lieferte, entspannte ich mich ein wenig. Ich richtete mich auf, steigerte mein Tempo und erreichte die Mauer mit ein paar fast normalen Schritten. Sie in der Dunkelheit zu ersteigen war schwieriger, als ich erwartet hatte, denn auch wenn ich unten einen festen Stand fände, könnte ich immer noch zwei oder drei Meter höher festhängen, mich mit ausgebreiteten Armen an die Mauer klammernd wie eine schlechte Jesus-Christus-Kopie. Einmal löste sich ein loser Stein unter meinem Fuß und landete mit einem deutlich hörbaren dumpfen Laut unter mir auf dem Erdboden. Ich erstarrte, lauschte auf sich nähernde Schritte, aber niemand kam. Ich kletterte mit zusammengebissenen Zähnen weiter und musste plötzlich daran denken, dass mich auf der Mauerkrone vielleicht Stacheldraht oder einzementierte Glasscherben oder sonst irgendein Mist erwarteten, Dinge, die ich bei Tageslicht zwar gesehen, jedoch nicht bewusst registriert oder schlichtweg vergessen hatte.
Nichts dergleichen. Die Steine bildeten eine unebene Fläche, jedoch war die Mauerkrone breit genug, so dass ich problemlos darauf stehen und gehen konnte. Und das Dach bot überhaupt keine Schwierigkeiten. Die Regenrinnen waren alt und bestanden aus solidem Metall anstelle des sonst üblichen PVC -Materials und trugen mein Gewicht, ohne merkbar nachzugeben.
Während ich mich gegen die Neigung der Dachziegel lehnte, bewegte ich mich von der Rückseite der Sakristei zur Vorderfront. Jetzt konnte ich mich umsehen und nach unten schauen und sah den Eingang unter mir als matten Lichtschein, der herausdrang und auf dem Kiesbelag ein blassgoldenes verzerrtes Rechteck erhellte. Innerhalb dieser beleuchteten Fläche verriet mir ein dunkler Fleck unweit des Mittelpunkts,
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