Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
schlagartig zu Ende, alle unterbrachen ihre überstürzte und planlos begonnene Suche und machten sich an den Abstieg. Alle? Nicht alle. Tom Fichtl rief seinen Vater lediglich im Krankenhaus an.
»Aber sag mal, Dad, du weißt nicht, wer die ganze Sache auf dem Gewissen hat?«
»Nein, wir wissen es alle nicht. Der Saukerl ist geflohen.«
»Und die Polizei hat ihn nicht erwischt?«
»Bislang nicht. Wir reden morgen weiter. Ich bin ziemlich kaputt.«
»Bis dann.«
»Und, Tom –«
»Ja?«
»Mach keinen Unsinn.«
Tom schaltete sein Telefon aus und spurtete weiter bergauf. Wut überkam ihn. Er verschärfte seine Geschwindigkeit. Dieser Bürohengst von Jennerwein unternahm nichts, um den Täter zu fassen. Rein gar nichts. Na warte, Jennerwein.
Mona und Uta waren schon unterwegs ins Tal. Sie liefen, so schnell sie konnten. Immer wieder mussten sie Rast machen.
»Hast du ihre diesjährige Jahrgangszeitung gelesen?«, fragte Uta atemlos.
»Nur flüchtig. Ein Haufen Insidergags unserer Alten, die niemand versteht außer sie selbst. Dann die Geschmacklosigkeit mit dem Simon Ricolesco, der schon zwanzig Jahre tot ist. Ist doch so richtig voll daneben.«
»Ich fand das gut. Keine Seite mit schwarzem Rand und hohlen Trauersprüchen, sondern was Originelles und Witziges.«
»Mag sein«, sagte Mona schulterzuckend. »Meinst du, in der Zeitung steht was, was so ein gemeines Verbrechen erklärt?«
»Dieses Jahr gab es einen anonymen Brief von einem gewissen N.N. – und der geht richtig ab. Voll mies. Klingt wie ein pickliger Zehntklässler, der einen Hass auf die Alten schiebt. Und bei denen an den Karton klopfen will.«
»Einen Hass auf die Alten? Du meinst, einer von uns hat das geschrieben? Da wäre ja echt episch.«
Das Feuer, an dem Motte saß, war längst heruntergebrannt. Aber es glühte noch warm. Die anderen waren ins Krankenhaus gefahren. Er hatte seinen Vater angerufen, der lebte noch. Es hätte ihn gewundert, wenn der sich aus dieser Situation nicht irgendwie herausgemogelt hätte. Wie sonst auch immer. Er würde ihn morgen besuchen. Motte war ganz froh darüber, dass er nicht mit den anderen mitgegangen war. Erstens hatte er dadurch diese nervige Mona vom Hals, die glaubte Wunder wer zu sein und die ihn so was von nicht interessierte. Zweitens war er beim Gehen salpetersäuremäßig stark eingeschränkt, drittens war einer seiner beiden Computer im Arsch. Motte starrte in die Glut. Viele unergründliche schwarze Augen starrten zurück. Er hatte die Klassenzeitung ebenfalls gelesen, der Artikel von diesem geheimnisvollen N.N. hatte ihm am besten gefallen. Wahrscheinlich zog der eh wie alle eine Show ab, trotzdem fand es Motte krass, was der anonyme Denunziant so alles über seinen Alten schrieb. Mit Schmackes! Motte stocherte zwischen den verkohlten Holzstücken herum. Und dann diese Christine Schattenhalb! Machte einen auf witzig, dabei war sie eine so große Nummer in der Szene. Klar, die Idee mit den Schafen war gut. Darauf musste man erst mal kommen. Aber das war ihm zu heiß. Er würde ihre Anfrage ablehnen. Als kleiner Sparkassen-Brandhacker blieb man doch mehr auf der sicheren Seite.
Die Dunkelheit brach mit Wucht über das Werdenfelser Land herein. Eine scharfkantige, käseweiße Mondscheibe durchschnitt ein paar flüchtige Schäfchenwolken. Die ersten Sterne blinkten, und auch der Talkessel glitzerte totenstill wie ein tausendköpfiges gefräßiges Glühwürmchen. Tom hatte den Kramergipfel fast erreicht. Ab und zu schaltete er das Display seines Mobiltelefons an, um es als Taschenlampe zu benutzen. Er sah auf die Uhr. Jetzt war es gleich halb zehn, noch fünf Minuten rauf, dann würde er sich nach Spuren umsehen.
Tom war wenige Meter vom Gipfel entfernt. Nichts regte sich. Er ging weiter, ließ einen Display-Leuchtschwall los und sah schon von weitem ein Band im Wind flattern. Er ging näher hin. Polizeiabsperrung. Das wollte er sich genauer ansehen. Er überstieg das Band und pirschte zum Gipfel.
»Haben wir dich, Bürscherl!«
Ein Stück Stahl in seinem Rücken, schmerzhaft hineingebohrt, eine kräftige Hand, die seinen Unterarm packte. Der Versuch, seinen Arm auf den Rücken zu drehen. Aber nicht mit Tom Fichtl, dem Volleyballcrack! Er schlug das Stück Stahl mit der freien Hand weg, entwand sich dem Griff und richtete den Strahl des Displays auf das Gesicht des Angreifers. Eine Welle heißer Angst überkam den coolen Tom. Das war kein menschliches Gesicht. Es war ein
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