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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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eine ähnlich vermummte Gestalt – alt oder jung, Mann oder Frau war nicht zu erkennen – auf Anfrage weitere Kladden und Schriften. Sie lasen. Sie blätterten. Sie übersetzten. Sie staunten. Und irgendwann kurz vor Mitternacht kam der Hammer. Es waren nur ein paar Seiten, und die waren in einem desolaten Zustand: angekohlt, zerknittert, nicht fortlaufend, Verfasser unbekannt, Herkunft unklar, noch nicht katalogisiert – das Bündel Blätter schien aus der Altpapiersammlung zu stammen. Doch diese auf den ersten Blick unzusammenhängenden Seiten wiesen an mehreren Stellen auf einen Vertrag hin, der im Jahre 1294 geschlossen worden war. Der unbekannte Verfasser klagte darüber, dass der Vertrag selbst nicht mehr aufzufinden war. Er spekulierte, dass er vielleicht bewusst vernichtet worden war, zu dem Zeitpunkt, als sich andere politische Konstellationen mit anderen Interessen gebildet hätten. Im Kern besagte er –
    dasz die Graffschaft verdenfells die nächsten 720 jar reichsunmittelbar ist vnd keiner Herr sein kunt als der graff selbst.
    Ignaz und Ursel sahen sich stumm und erschrocken an.
    »Damit ist unser FAVOR CONTRACTUS gemeint!«
    Sie riefen Professor Kling. Der vertiefte sich in das Schriftstück und runzelte die Stirn.
    »Hier geht es um die Reichsunmittelbarkeit eines Gebiets«, erklärte Kling. »Mit anderen Worten: Die ehemalige Grafschaft Werdenfels wäre, so wie meinetwegen San Marino, auch heute noch als eigenständiger Staat zu sehen.«
    »Der jetzige Landkreis hätte also theoretisch das Recht, zur Selbstständigkeit zurückzukehren?«
    Kling lachte.
    »Im Grunde schon, dazu müsste man allerdings den verschollenen Originalvertrag vorlegen. Nur hat man in den letzten siebenhundert Jahren nichts von diesem Vertrag gehört.«
     
    »Was hat denn der deutsche König damals mit dem Werdenfelser Land zu tun gehabt?«, fragte Ignaz.
    »Nun, der historische Hintergrund ist der: Emicho, der Fürstbischof von Freising, hat die reiche und einträgliche Grafschaft Werdenfels in seinem Besitz. Der deutsche König, Adolf von Nassau, ist schwach, unbeliebt, er sitzt politisch nicht sehr fest im Sattel, er braucht Geld. Deshalb bittet er Emicho um Hilfe. Der wittert ein gutes Geschäft und lässt sich im Gegenzug die Reichsunmittelbarkeit für die Grafschaft Werdenfels aussprechen. Er entzieht das Territorium dadurch dem bayrischen Herzog –«
    »– das ist zu der Zeit Ludwig der Strenge«, warf Ursel ein. »Geboren 1229 in Heidelberg. Also ein Kurpfälzer.«
    »– das Land wird aber dadurch auch den Tirolern entzogen, den Salzburgern – sie können alle keinen Anspruch mehr darauf geltend machen. Auch der Kirchenstaat kann nicht darauf zugreifen. Ein kompliziert ausgehandelter und juristisch wasserdicht formulierter FAVOR CONTRACTUS sorgt dafür.« Die Augen des Professors leuchteten. »Das Originaldokument würde ich furchtbar gerne in Händen halten!«
    »Aber was hat denn so ein Blattl Papier damals genutzt?«, fragte Ignaz dazwischen. »Die Tiroler oder Salzburger konnten sich das Land doch mit Gewalt nehmen! Das haben sie ja dauernd gemacht.«
    »Üblicherweise gibt es für diesen Fall eine Schutzmacht, die den Vertrag garantiert. Davon ist in diesem Fragment leider nirgends die Rede. Es muss ein Land sein, das zur damaligen Zeit schnell und ohne Probleme ein großes Heer aufstellen konnte.«
    »Und der Vertrag gilt tatsächlich heute noch?«
    Kling lachte erneut. Es war das Lachen des Fachmanns über die Unwissenheit von interessierten Dilettanten.
    »Im Prinzip schon. Interessant ist, dass er dieses Jahr ablaufen würde! Aber erstens müsste man das Originalmanuskript in seinem Besitz haben. Ferner müsste sich der Rechtsnachfolger des Fürstbischofs an den Rechtsnachfolger des deutschen Königs wenden. Also stellen Sie sich vor: Bis Ende dieses Jahres müsste der Bürgermeister des Kurorts beim deutschen Bundeskabinett vorsprechen und die Mitglieder über seine Sezessionsabsichten informieren.«
    »Wieso nicht bei der bayrischen Staatsregierung?«
    »Die ist außen vor, als Rechtsnachfolgerin des Herzogtums Bayern hat sie in dieser Sache nichts zu sagen.«
    »Und wenn sich das Bundeskabinett weigert?«
    »Dann könnte der Bürgermeister die Schutzmacht um Hilfe bitten.«
    Die Graseggers standen mit offenem Mund da. Man konnte es nicht erkennen, weil sie Mundschutzmasken trugen. Kling lachte erneut.
    »Alles theoretisch natürlich. Denn selbst wenn das Originalmanuskript auftauchen würde, an

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