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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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solch einer territorialen Ablösung hat natürlich heutzutage kein Mensch mehr Interesse. Die Bildung dieses Ministaates würde zum Beispiel dem Vereinigungsprozess von Europa völlig zuwiderlaufen. Es gibt sicher noch weitere kleine Überbleibsel von unwichtigen Grafschaften – oh, Entschuldigung, Sie kommen ja von dort unten!«
    »Ja, wir kommen von dort unten«, sagte Ursel spitz. »Darum interessiert uns das.«
    Der fränkische Dialekt von Kling war unverkennbar. Die freundliche Herablassung, mit der dieser Historiker vom Werdenfelser Land sprach, brachte in den Graseggers etwas zum köcheln. Kling hatte, ohne es vielleicht gewollt zu haben, den Werdenfelser Grant geweckt, einen mächtigen Geist, der zu weitreichenden Handlungen antreiben konnte.
    »Ich hoffe, ich habe Ihre lokalpatriotischen Gefühle nicht verletzt.«
    »Nein, nein, überhaupt nicht«, sagte Ignaz ruhig. »Reden S’ nur zu!«
     
    »Stellen Sie sich einmal die Sprengkraft dieser Idee vor«, sagte Kling in versöhnlichem Ton. »Ein Land löst sich aus der Bundesrepublik – damit wäre eine Lawine losgetreten, die von niemandem mehr zu kontrollieren wäre. Europaweit. Weltweit.«
    »Und auch in Bayern wäre einiges los. Es gibt ja vermutlich noch mehrere Grafschaften, die einen Anspruch auf Selbständigkeit geltend machen könnten. Bayern würde auseinanderfallen.«
    »Ja, vermutlich«, sagte Professor Kling. »Man kann sich vorstellen, dass sich viele staatliche Gebilde auflösen würden. Die Originalurkunde wäre eine Bombe. Man bräuchte sie nicht einmal werfen. Man bräuchte sie nur hochzuhalten.«
    »Aber wo ist sie? Haben Sie eine Ahnung, wo die aufbewahrt werden könnte?«, fragte Ignaz.
    Professor Kling schüttelte den Kopf.
    »Sie wird wohl verlorengegangen sein. Und das ist vielleicht auch besser so.«
    Professor Kling erlaubte ihnen, das Schriftstück zu kopieren. Sie verabschiedeten sich, versprachen, eine Ladung selbstgemachten Wurstsalats für die professorale Hilfe zu schicken, und verließen die Staatsbibliothek. Es war schon weit nach Mitternacht. Lange fuhren sie schweigend dahin. Als sie wieder den Kurort erreichten, sagte Ursel:
    »Das wäre doch was!«
    »Was?«
    »Herrscherpaar eines Zwergstaates mitten in Europa zu werden! So San-Marino-mäßig, weißt. Stell dir vor, wir sorgen dafür, dass das Werdenfels unabhängig wird.«
    »Da wüsste ich keinen mehr, der uns
nicht
zum Bürgermeister wählen würde.«
    »Und wir brauchen die Bombe ja nicht zu werfen. Wir brauchen sie nur hochzuhalten.«
    »Jetzt gehen wir frühstücken, altes Sauschwanzl.«
     
    Ein Mitternachtssüppchen war es nicht mehr, aber auch noch kein Frühstück. Vielleicht ein auf den Kopf gestellter Dämmerhappen. Sie holten Stück für Stück aus dem Kühlschrank. Eine Hasenragoutsülze in Rotweinaspik. Gedünstete Rehlinge getrüffelt. Hundert Tage eingelegte Eier nach Art des Grafen von Montgelas.
    »Eure Eminenz?«
    »Ja, Hochwohlgeboren?«
    »Haben wir noch einen kalten Schweinsbraten? Der tät gut zum Erdäpfelsalat passen.«
    Kalbsleberpastete mit dunklem Bauernbrot. Topfennudeln mit Eibseeforellenfilets. Werdenfelser Steinpilzgröstl mit Kasbratnockerln. Ursel prustete plötzlich los vor Lachen.
    »Weißt du, wer sich als Polizeipräsident des Freistaates Werdenfels hervorragend eignen würde?«
     
    Die Antwort ging im Knistern des Grillfeuers und im schallenden Gelächter der beiden ministerpräsidialen Eminenzen unter.

52

    Tausend Kilometer weiter südlich saß man ebenfalls im Morgengrauen auf der Terrasse und spielte
crimine, arma, pena
, eine Mafia-Variante von Stadt, Land, Fluss. Padrone Spalanzani und Karl Swoboda unterhielten sich über das Projekt Kramertunnel.
    »Mit dem Buchstaben L gibt es kein Verbrechen!«, sagte Enrico, der Terminatore, gerade.
    »Wohl gibts welche!«, rief sein Bruder Antonio.
    »Ruhe jetzt!«, rief Padrone Spalanzani. Er wandte sich wieder zu dem österreichischen Problemlöser.
    »Hast du die Familie Grasegger bei unserem Kramer-Projekt eingespannt, Swoboda?«
    »Padrone, die kann man nicht mehr einspannen, die sind ausgestiegen.«
    »Bei mir steigt niemand aus.«
    »Die wollen in die Politik.«
    »Ah, das ist gut, da werden sie uns noch mehr nutzen.«
    »Ich weiß nicht so recht. Die meinen es ernst. Mal abwarten, ob sie es überhaupt schaffen, Bürgermeister zu werden.«
     
    Im Kurort hatte sich der Talkessel schon wieder aus der pechschwarzen Klammer der Nacht befreit. Zeit zum Frühstück für die

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