Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
verhüllte Gestalt aus der Tür. Hölleisen hielt gebührenden Abstand zu dem Spaziergänger. Er hatte schon mehrere Beschattungen mitgemacht, er war geübt darin, Wege abzuschneiden und Abkürzungen zu nehmen. Der Spaziergänger mit dem Rucksack und der Kapuzenjacke verließ den Ort. Er ging an der südlichen Seite des Kramermassivs den Seeweg hinauf.
Wenn der so weiterhetzt, dann kommen wir noch zur Burgruine, dachte Hölleisen.
Aber warum nicht? Die Burgruine Werdenfels, über dem Ortsteil Burgrain gelegen, erschien ihm ein ganz unverdächtiger Ort. Viele Spaziergänger, viele Touristen, übersichtliches Gelände. Er konnte jederzeit anrufen und um Unterstützung bitten. Er legte einen Zahn zu. Fast hätte er die Kapuzengestalt aus den Augen verloren. Er wollte sich nicht noch einmal blamieren.
65
Wütend schlug Jennerwein mit der Faust auf den Tisch. Das erste Mal in den ganzen Jahren ihrer Zusammenarbeit war er mit seinem Chef aneinandergeraten.
»Dr. Rosenberger, warum können Sie mir die Information nicht herausgeben?«
»Weil ich sie selbst nicht weiß! Herrgott, Jennerwein, seien Sie doch nicht so stur. Und glauben Sie es mir endlich: Was Prallingers genaue Aufgaben im Ministerium waren, kann ich Ihnen nicht sagen. Es gibt Informationen, zu denen ich keinen Zugang habe. Geheimhaltungsstufe Dunkelrot, empfindlichste Staatsinteressen.«
»Die Kollegen in der Landeshauptstadt haben das Büro von Prallinger bereits durchsucht.«
»Und was hat sich ergeben?«
»Nichts! Rein gar nichts! Das Büro war vollkommen leer. Er hatte mit dem Finanzministerium gar nichts zu tun. Mit der Seen- und Schlösserverwaltung gleich zweimal nichts. Wir wissen, dass Prallinger oft mit dem Innenministerium Kontakt hatte. Deswegen frage ich Sie. Dr. Rosenberger, Sie kennen Gott und die Welt im Innenministerium. Als Sie für Ihr Buch recherchiert haben, da waren Sie doch sogar beim –«
»Auch bei diesen Recherchen bin ich an Grenzen gestoßen, das können Sie mir glauben.«
»Prallinger hatte engen Kontakt zum Innenministerium. Er hatte hochbrisante Informationen zu verwalten, dunkelrote Informationen, wie Sie sagen. Und genau deswegen wurde er vermutlich ermordet.«
»Vermutlich! Vermutlich! Können Sie das beweisen, Jennerwein?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Ich gebe Ihnen einen Rat. Forschen Sie lieber in Richtung dieses Heinz Jakobi, der scheint mir eine ganz große Nummer gewesen zu sein, wenn ich das so pietätlos sagen darf. Ich habe ihn einmal bei einem Empfang kennengelernt. Nachträglich betrachtet, denke ich, dass beim Kramertunnel etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.«
»Nicht mit rechten Dingen zugegangen? Herr Dr. Rosenberger! Es geht um einen Doppelmord – und Sie wollen mir nicht helfen? Was soll das?«
»Ich wüsste nicht, wer im Ministerium –«
»Sie kennen den Innenminister persönlich. Das weiß ich. Rufen Sie ihn –«
»Nein, das mache ich nicht. Nicht mit bloßen Vermutungen. Jennerwein, Sie müssen mit dem zurechtkommen, was Sie haben. Auf Wiedersehen.«
Eine halbe Stunde später standen Jennerwein und Stengele vor Prallingers Haus, das zwischen der Landeshauptstadt und dem Kurort lag. Ein einfacher Drahtzaun umgab das stattliche Anwesen. Es war nicht direkt ein Protzbau, aber doch eine recht schmucke Villa mit gepflegtem Garten. Stengele und Jennerwein sprachen der Witwe ihr Beileid aus. Sie saß zusammen mit der Tochter und noch ein paar Freunden am Wohnzimmertisch. Das Haus war geräumig, an den Wänden hingen geschmackvolle und ins Auge fallende Originalgemälde. Jennerwein trat einen Schritt auf die Tochter zu.
»Frau Prallinger, es tut mir schrecklich leid, was passiert ist. Aber ich will den Mord an Ihrem Vater schnell aufklären. Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Doch weder Frau noch Tochter wussten irgendetwas über seine Arbeit. Er hatte immer wieder betont, wie geheim seine Aufgabe sei, und er war regelmäßig nach Berlin gefahren.
»Hat Ihr Vater dienstliche Akten hier im Haus aufbewahrt?«
»Nein, nur im Büro.«
Stengele und Jennerwein sahen sich an.
»Könnten wir uns eine Stunde ungestört im Haus umsehen?«
Die Tochter nickte.
»Wir machen einen Spaziergang«, sagte sie. »Alle Türen stehen Ihnen offen. Wir wollen, dass der Mörder gefunden wird.«
Als die Frauen sie alleine gelassen hatten, begannen Stengele und Jennerwein mit der Durchsuchung des Hauses. Eines war klar: Dieses Anwesen passte überhaupt nicht zu Prallinger.
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