Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Auch die Gemälde passten nicht zu ihm. Jennerwein unterbrach die Suche, zog sein Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer eines Kollegen. Der war ihm noch etwas schuldig.
»Gibts was Neues, Chef?«, sagte Stengele, nachdem Jennerwein aufgelegt hatte.
»Allerdings. Das hier ist nicht Prallingers Anwesen. Sowohl der Grund als auch das Haus gehören dem Freistaat Bayern. Es würde mich nicht wundern, wenn auch der Gärtner von unseren Steuergeldern bezahlt würde.«
»Ob die Familie wohl davon weiß?«
»Danach sieht es mir nicht aus.«
Wenig später stand das komplette Ermittlerteam im Wohnzimmer Prallingers, des unauffälligen bayrischen Oberregierungsrats. Auch Becker und ein paar Mitarbeiter seines Spurensichererteams waren gekommen. Nur Hölleisen fehlte. Und der machte gerade etwas sehr Dummes.
»Prallinger hatte offensichtlich den Job, Staatsgeheimnisse unter Verschluss zu halten«, sagte Jennerwein vor dem versammelten Team. »Wir bekommen kaum Informationen darüber. Vermutlich auch deswegen nicht, weil ein paar konkurrierende Amtsstellen darin verwickelt sind und sich gegenseitig behindern. Wir könnten den knochenharten Dienstweg beschreiten, aber das würde zu lange dauern. Alle diese Schwierigkeiten spielen – davon bin ich inzwischen überzeugt – dem Täter in die Hand! Ich bin mir sicher, dass es hier auf dem Gelände einen Hinweis auf das Geheimnis des Opfers gibt. Achten Sie auf die Bücher. Suchen Sie nach Tresoren. Halten Sie Ausschau nach möglichen Verstecken. Sehen Sie auch im Keller und im Gartenhäuschen nach. Wir haben nur eine Stunde.«
Und wieder einmal schaute Kurfürst Maximilian II . Emanuel von seinem Gemälde streng herunter auf den Schreibtisch des Referenten der Referentin des Referenten. Das Telefon klingelte ungeduldig, die Tür ging auf, und Licht fiel in die Zirbelholzstube. Teure Designerschuhe glitten über den Teppich, diesmal hastiger, als liefe dem Schuhträger die Zeit davon. Die Stimme, die zu den Schuhen gehörte, näselte: »Was gibt’s?«
»Ihr in Bayern habt ein Leck«, sagte der Mann am anderen Ende der Leitung. »Ein Erpresser hat sich bei unserer Bundesbehörde gemeldet. Er behauptet zu wissen, wo einer der Verträge liegt. Er ist vermutlich gerade dabei, ihn in seinen Besitz zu bringen.«
»Ein Leck? Ein Erpresser? Und mit was droht er?«
»Damit, das Dokument in allernächster Zeit zu veröffentlichen.«
»Ein harmloser Spinner. Hatten wir schon öfters. Grad heut morgen hat so ein lästiger Historiker angerufen, ein Professor Kling. Der hat ebenfalls behauptet, Hinweise auf einen FAVOR CONTRACTUS zu haben. Ein harmloser Spinner eben.«
»Harmloser Spinner? Sind Sie verrückt? Der Mann, von dem ich rede und der bei uns in Berlin angerufen hat, weiß, wo das Original der Schenkungsurkunde verwahrt wird. Er kennt die Schutzmacht, die eine Loslösung der Alpenrepublik notfalls militärisch durchsetzen könnte. Er weiß, wo die anderen beiden bayrischen Bezirke liegen, die ebenfalls unter einen solchen FAVOR CONTRACTUS fallen. Er hat schon Kontakt mit der französischen Regierung aufgenommen.«
Die Spitzen der Designerschuhe tippten aufgeregt auf dem Boden. Der, der drinsteckte, lachte ein unechtes Lachen.
»Will er ein eigenes Land aufmachen? Wie im Mittelalter? Ist es Berlusconi?«
»Nun nehmen Sie das endlich ernst, Sie Kretin! Sie haben eine Staatskrise ernstesten Umfangs am Hut! Der Mann ist ein Erpresser. Er fordert eine große Summe Geld. Er erpresst die Bundesregierung. An der tatsächlichen Trennung der Grafschaft Werdenfels vom deutschen Staatsgebiet hat er offenbar kein Interesse. Aber er droht damit. Das ist eine Katastrophe. Stellen Sie sich das vor! Sämtliche Separatistenbewegungen von den Schotten bis zu den Basken werden sich darauf stürzen. Das ist Sprengstoff!«
»Äh, ja, da haben Sie wohl recht. Soll ich das Geld gleich beschaffen?«
»Ausgerechnet jetzt kommt der Erpresser! In ein paar Wochen wäre der Vertrag abgelaufen. Aber so haben wir eine Verfassungskrise.«
»Wie ist es jetzt mit dem Geld?«
»Besorgen Sie es, Sie Idiot!«
»Darf ich die Höhe der Summe erfahren?«
Der Mann am anderen Ende der Leitung nannte den Betrag. Die teuren Designerschuhe hörten auf zu wippen.
Jennerweins Begabung, die wesentliche Information aus einem Wust von Eindrücken herauszufiltern, war jetzt gefragt. Doch um eine Information in einer Wohnung zu verbergen, gab es unendlich viele Möglichkeiten.
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