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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Jennerwein wusste, dass ihn das überhaupt nichts anging. Aber andererseits: Schon die Tatsache, dass die ehemaligen kriminellen Bestatter ein Restaurant aufgesucht hatten, war bemerkenswert. Nach Auskunft von Polizeiobermeister Ostler aßen sie – wie viele Einheimische – so gut wie nie aushäusig. Das war auch nicht üblich im Kurort. Die Ureinheimischen waren ausgestattet mit holzgeschürten Eisenherden, auf denen sie üppige Gerichte nach uralten Rezepten zubereiteten, und der Loisachtaler Spruch dazu lautete:
Oana vam Urt geaht it furt.
(Einer aus dem Kurort geht in kein Restaurant.) Jennerwein wandte den Blick von der Terrasse ab. Doch sein Instinkt war geweckt. Da war irgendetwas am Kochen, die saßen nicht einfach nur so zur Gaudi da. Aber andererseits: Warum sollte er sich groß Gedanken machen. Es lag nichts gegen sie vor.
     
    Jennerwein schritt den Wanderweg entschlossen weiter bergaufwärts. Er ging zügig voran, Professor Köpphahn, der Bremer Flachlandtiroler, konnte ihm kaum folgen. Er war jedoch so in seinen medizinischen Vortrag vertieft, dass er schnaufend und schnaubend hinterherlief.
    »Jedenfalls haben Sie sich die harmloseste Wahrnehmungsstörung ausgesucht, Kommissar!«, sagte er. »Da gibt es wesentlich schlimmere Agnosien. Zum Beispiel das
Capgras-Syndrom.
Schon mal gehört davon?«
    »Nein.«
    »Der Patient glaubt hier, dass nahestehende Menschen durch Doppelgänger ersetzt worden sind. Bei der
Prosopagnosie
wiederum können die Betroffenen die Gesichter von nahen Verwandten nicht mehr erkennen.«
    Jennerwein blieb stehen und drehte sich um.
    »Professor, sagen Sie mir nicht, was ich
nicht
habe. Sie können ruhig mit der Untersuchung beginnen.«
    Was hatte der Arzt da alles in der Tasche? Fachbücher? Medizinische Untersuchungsapparate? In Feld und Wald einsetzbare Computertomographen? Ein bisschen Bammel hatte Jennerwein schon vor der ambulanten Untersuchung. Aber er wollte es jetzt endlich wissen.
    »Eine ganz direkte Frage, Kommissar: Haben Sie Schwierigkeiten beim Lesen? Haben Sie Schwierigkeiten, Wort- und Zeilenenden zu finden?«
    »Nein, nicht dass ich wüsste.«
    »Der Verlust des parafovealen Gesichtsfeldes ist ganz typisch für akinetopsische Erkrankungen. Sie lesen eine Textzeile, und je weiter Sie an den Rand kommen, desto mühevoller wird es zu lesen.«
    »Das ist bei mir nicht der Fall.«
    »Hm. Das ist aber sehr untypisch für Akinetopsie.«
    Der Professor notierte etwas in sein Notizbuch.
    »Am besten wäre es, Kommissar, wenn wir mal da rüber zu dem Baum gehen würden, da ist ein schattiges Plätzchen. Ich will nur ein paar neurologische Untersuchungen vornehmen.«
    Sie verließen den Weg. Jetzt wurde es ernst. Jennerwein setzte sich auf eine Baumwurzel, Dr. Köpphahn klopfte da- und dorthin, er führte einige Reaktionstests durch. Er ließ Jennerwein etwas schreiben. Er wedelte mit der Hand vor seinen Augen auf und ab. Dann holte er eine Pupillenleuchte aus der Tasche.
    »Schauen Sie nach oben ins Licht, Kommissar.«
    Der Arzt beugte sich über ihn und träufelte eine Flüssigkeit in beide Augen. Er beugte sich noch näher zu ihm, um den Augenhintergrund ableuchten zu können.
     
    »Das gibts doch nicht! Da schau einmal hin!«, rief Ignaz und wies hinunter auf die Bergwiese, in deren Mitte ein prächtiger Kastanienbaum stand.
    »Da also weht der Hase her!«, sagte Ursel kopfschüttelnd. »Nicht dass man Vorurteile hätte, aber –«
    »Komm, lass uns gehen. Du wolltest doch zum Pfarrer. Wir haben genug gesehen.«
     
    »Das dachte ich mir schon«, murmelte Professor Köpphahn und beugte sich noch weiter über Jennerwein. »Das Westphal-Piltz-Phänomen bei der Lidschlussreaktion.«
    »Und was heißt das?«
    »Am besten wäre es, Kommissar, wenn ich Ihnen ein paar Fragen stellen dürfte. Ich schalte mal mein Aufnahmegerät an. Sie erlauben?«
    »Natürlich, deswegen sind wir ja hier.«
    »Sie bekommen die Anfälle immer bei großem Stress?«
    »Ja.«
    »Schon im Vorfeld, wenn sich der Stress ankündigt?«
    »Ja. Inzwischen brauche ich nur an eine gefährliche Situation zu denken, dann ruckeln schon die ersten Bilder, wie bei einem gerissenen Film, früher im Kino. Schließlich bleibt eines ganz stehen.«
    »Haben Sie das Gefühl, diese Anfälle bewusst herbeiführen zu können?«
    »Ja, inzwischen schon.«
    »Können Sie mir das jetzt und hier zeigen?«
    »Ja, natürlich.«
    »Dann versuchen Sie das einmal. Halten Sie die Augen dabei auf, und bewegen Sie sich

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