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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Nirgends befand sich ein Mobilfunkgerät, auch nicht in dem Handytäschchen, das der Mann an seinem Gürtel trug. Aus der Geldbörse des Abgestürzten zog er kurzerhand den Ausweis. Der Name sagte ihm nichts. Der Name nützte ihm auch nichts. Vermutlich war das Telefon des Mannes oben liegen geblieben. Ganz sicher sogar. Dass er kein Handy bei sich hatte, konnte doch nur eines bedeuteten: Kaum war er auf dem Gipfel angekommen, hatte er die übliche
Das-ist-ein-Ausblick!
-Grußbotschaft abgesetzt. Dann hatte es zu regnen begonnen, der Mann hatte versucht, ein trockenes Plätzchen zu finden, beim Herumklettern war er ausgerutscht und abgestürzt. Das Handy lag noch oben auf dem Gipfel. So musste es gewesen sein. Aber warum hatte der Mann sich diese lächerliche Maske übergezogen? Wahrscheinlich war das irgendein Jux. Die übrige Kleidung des Mannes sah jedenfalls nicht nach dem Outfit eines geübten Trekkers aus, es waren eher wetterbeständige Freizeitklamotten für einen Sonntagsausflug. Dann war er aber sicherlich nicht allein auf den Berg gegangen. Bestimmt hatten ihn noch andere begleitet, die vielleicht noch gar nicht bemerkt hatten, dass er abgestürzt war. Was für eine verfahrene Situation! Der Geocacher versuchte, klaren Kopf zu behalten. Ein Blick auf seinen GPS -Empfänger genügte, um zu sehen, dass er sich in achtzehnhundert Meter Höhe befand. Nach unten in den Kurort würde er gute zwei Stunden brauchen. Und nach oben? Wenn er die Wand hochkletterte, wäre er in zehn Minuten auf dem Gipfel. Aber er war keine zwanzig mehr. Er war seit acht Jahren Rentner. Und er hatte ein schwaches Herz. Er fuhr den Gipfelkegel mit dem Fernglas ab. Rechts und links zogen sich bewaldete Steilhänge hoch, die konnte er möglicherweise in Serpentinen schaffen. Dazu bräuchte er allerdings mehr als eine halbe Stunde. Also los. Auf gehts. Er riss sein Baumwollhemd in Streifen und stillte die Blutungen des Mannes, so gut es ging. Er konnte nichts weiter für ihn tun. Auf Berührungen und ins Ohr geschriene Worte reagierte er nicht mehr.
    »Ich komme gleich wieder! Halten Sie durch! Ich hole Hilfe!«
    Er begann mit dem Aufstieg. In weiten Serpentinenbögen umschlängelte er den Gipfel. Er marschierte stramm und konzentrierte sich auf den Weg wie nie in seinem Leben zuvor. Erst auf der Hälfte der Strecke fiel ihm das Schild wieder ein. SPRENGUNGEN . LEBENSGEFAHR ! Aber es hatte keinen Sinn mehr, jetzt umzukehren.
     
    Wo war er? Er lag auf einem rauen Felsen, so viel schien sicher. Ein alter, schweratmender Mann mit einer Schnaps- und Würschtlfahne hatte sich vorhin über ihn gebeugt, war dann aber genauso schnell wieder aus dem Blickfeld verschwunden. Wer war der Mann? Den hatte er noch nie im Leben gesehen. Ein Berggeist? Der Alpenkönig mit wurzeligem Haar? Der Wächter der diamantengefüllten Gumpen und Bergseen? Der Typ schien dem Märchenbuch entsprungen zu sein, aus dem ihm seine Großmutter immer vorgelesen hatte. Er versuchte, sich zu drehen. Unmöglich. Er konnte nicht einmal den Kopf bewegen. Er spürte keine Schmerzen, er spürte auch seinen Körper nicht mehr. Ein Versuch, die Hand zu heben – da war nichts. Aus dem hintersten Winkel seines Gehirns kämpfte sich ein Wort in den Vordergrund: Klassentreffen. Jeder einzelne Buchstabe des Wortes war aus Marmor geformt. Jeder einzelne Buchstabe strahlte und glänzte, wie wenn er stundenlang gewienert worden wäre. Klassentreffen? Was für ein Klassentreffen? Sein eigenes? War das überhaupt schon gewesen? Er lag in einem offenen Sarg, oben am Rand des Grabes standen zwei seiner Kameraden: Harry Fichtl und Helmut Stadler. Die beiden streuten Erde auf ihn herunter. Er wollte
Sehr witzig!
rufen, brachte aber kein Wort heraus. Jetzt erschien ein rotes Haarbüschel, darunter verbarg sich Uta Eidenschink, ganz in Schwarz gekleidet. Immer mehr Klassenkameraden traten an den Rand des Grabes, sie lachten und zeigten fröhlich auf ihn herunter. Alte Witze wurden gerissen. Er hob einen Fotoapparat und drückte ab. Er lag im Sarg auf dem Rücken, um ein Klassenfoto zu schießen! Erste Reihe, zweiter von links: Houdini! Manege frei für Houdini, dessen Kartentricks so öde waren, so abgrundtief öde und langweilig … jeder zweite Trick misslang kläglich … und man konnte immer sehen, wie er funktionierte. Zweite Reihe, halb verdeckt: Susi Herrschl. Susi Herrschl? Die war doch einen Sommer lang seine Freundin gewesen … und hatte ihn dann verlassen

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