Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Tastenkombination auf seinem Rechner, die für solche überraschenden und zweifelhaften Fälle vorgesehen war. Der eine von den Eindringlingen war eine Frau. Nicht viel älter als sie alle hier: Mitte zwanzig vielleicht, drahtig, sportlich, tatendurstig. Motte hatte den Eindruck, dass sie sofort einen prüfenden Blick auf seinen Rechner geworfen hatte. Der andere war wesentlich älter, ebenfalls in Zivil, aber selbst hier in der urwüchsigen Natur verbreitete er eine wahrhaft staatstragende Aura. Das konnten nur zwei Polizisten sein. Deshalb auch Mottes allererste Reaktion. ›Strg‹plus›Alt ‹plus›:erase!‹. Wenn er jetzt innerhalb von zwanzig Minuten nicht das Gegengift in Form eines anderen Befehls gab, dann wurde die Festplatte seines Rechners gelöscht. Und zwar nix Papierkorb, vorläufiger Trash, sondern unwiederbringlich gelöscht. Eigenhändig hatte er vier kleine Löcher in die Abdichtung seines Motherboards gebohrt und dort Säureampullen platziert. Sie würden die Daten im Fall einer Nicht-Entwarnung zerstören. Das Programm hieß LETHE 1 . 0 , auch das hatte er schon gewinnbringend verkauft. Doch auch die anderen Kids blieben nicht ungerührt. Manche zuckten nervös und warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, als Jennerwein und Nicole auftauchten, wieder andere begruben etwas unter sich oder steckten es hastig in die Tasche. Nicole und Jennerwein waren die verstohlenen Blicke und schnellen Handbewegungen nicht entgangen. Sie traten beide ein paar Schritte auf die Lichtung.
»Wow! Was haben wir denn da!«, sagte Nicole zu Motte, um das Eis zu brechen. »Das ist ja ein wasserunempfindlicher GetacX 500 -Rechner mit militärischer E/A-Schnittstelle!«
Sie hatte es bewundernd sagen wollen, sie hatte locker sein wollen, sie hatte einen kleinen Small-Talk-Puffer vor die Befragung setzen wollen, um Vertrauen zu schaffen, aber den zweiten Teil des Satzes hörte Motte schon nicht mehr. Er sprang auf, klappte seinen Rechner zu und spurtete damit zur Überraschung der Polizisten in den Wald. Ein Mädchen mit einem Gipsarm war ebenfalls aufgesprungen und lief ihm nach.
HELMUT STADLER
Maschinenbauingenieur
Liebe Freunde,
hier der Beitrag meines Jüngsten:
Gell, da schaut Ihr! Tobi wäre auch gerne dabei, vielleicht nehme ich ihn bei der Wanderung im Rucksack mit, grins, hüpf-auf-den-Baum-vor-Lachen! – Euer Helmut!
SIMON RICOLESCO
Liebe Frotts von damals, hört,
wer euch hier schon wieder stört!
Simon meldet sich zu Wort,
Null in Mathe, Ass in Sport.
Kommen kann ich leider nicht,
darum schreib ich dies Gedicht.
Was es zu vermelden gibt:
Bin nicht verlobt, bin nicht verliebt!
Hab das alles hinter mir,
trink mit Daddy jetzt ein Bier,
rauch mit Mao, meinem Freund
ab und zu nen Riesenjoint.
Doch ich seh, ich krieg ein Zeichen
auf Wolke sieben mich zu schleichen.
Jetzt feiert schön, und habt viel Spaß,
erhebt auf mich heut Nacht das Glas
da drunten im Geheimen Wald –
Ich prost zurück: Auf dann, bis bald!
S. R.
32
»Was ist denn mit dem los?«, murmelte Maria Schmalfuß im Polizeirevier, als sie diesen gereimten Beitrag las. Sie loggte sich ins System ein, um die Person zu überprüfen: Fehlanzeige. Ein Mann mit dem Namen Simon Ricolesco ergab keine Ergebnisse. »Schon wieder jemand, der ausgewandert oder abgetaucht oder was weiß ich ist«, sagte sie in Richtung Ostler. »Ich muss schon sagen: Hubertus hat ausgesprochen seltsame Klassenkameraden. Langsam scheint es mir so, als ob er der einzig Normale wäre.«
Maria hatte es mehr für sich gesagt, aber Ostler nickte zustimmend. Er saß auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches und überprüfte gerade einen gewissen Beppo Prallinger, Dr. jur., Oberregierungsrat, verheiratet, eine Tochter, zwei Enkel. Ostler rief bei ihm zu Hause an. Dort sprang nur der Anrufbeantworter an. Prallinger hatte eine tiefe, sonore, gewissermaßen bayrische Stimme, so eine, wie sie der Volksschauspieler Walter Sedlmayr gehabt hatte. Prallingers wohltönendes Organ strahlte Ruhe und Gemütlichkeit aus. Es gab also doch nicht nur Verrückte in der Klasse, dachte Ostler. Der Ansagetext war schlicht und schnörkellos. Prallinger war Oberregierungsrat, also musste er eine Dienststelle haben. Er hatte eine. Er arbeitete im Bayrischen Finanzministerium.
»So!«, sagte die Dame in der finanzministerialen Telefonzentrale, und sie bog das So! spitz nach oben. »So! Für den Prallinger interessiert sich also die Polizei! Ja, da schau
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