Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
sagte Nicole Schwattke und steckte ihre Dienstwaffe wieder ein. »Das klingt eher nach Party.«
Jennerwein nickte. Wenn sich das Ganze jetzt als Scherz von Bernie herausstellte, dann würde er zum Tier werden. Aber was war das für Lärm? Das war keine abgestandene Mittvierzigerdröhne mit Police und Pink Floyd, das war junger, hipper Lärm, vermischt mit den typischen Schmetterklatschgeräuschen eines schnellen Volleyballwechsels.
»Was ist das für ein Song?«, fragte Jennerwein.
»Robin Thicke«, antwortete Nicole. »
Blurred Lines
, der Sommerhit schlechthin.«
Als Jennerwein die Zweige zurückgebogen hatte, hätte er trotz aller Anspannung fast losgelacht. Auf der Waldlichtung blickte er in die überraschten und misstrauischen Augen von Harry Fichtl, Ronni Ploch und Heinz Jakobi – diese aber lediglich in ihren jüngeren Ausgaben. Sie waren auferstanden aus den Ruinen der Ü- 40 -Generation. Uta Eidenschink saß auf der Astgabel eines Baumes – nur eben als junger Mann.
Da Jennerwein kinderlos war, da es keinen Hubertus junior (Profil: unauffällig) gab, hatten die Kids nicht den umgekehrten Eindruck, dass in dem Holunderbusch ein Alterungsprozess vonstattengegangen war. Sie hatten vielmehr den starken Eindruck, dass es Polizisten waren, die dort ihren plötzlichen und unangemeldeten Auftritt hatten. Und dann hatte die junge Polizistin Motte angesprochen und seinen Rechner identifiziert – das konnte doch nur bedeuten, dass sie Bescheid wussten. Hatte ihm das vielleicht sogar dieses verflixte Känguru, diese Christine Schattenhalb eingebrockt?
Jennerwein kam bei der Verfolgung von Mona und Motte gut voran. Er hielt die Unterarme vor die Augen, um sie vor den zurückschnellenden Zweigen zu schützen. Das Unterholz war dicht und stachelig, aber wenn man nicht stur geradeaus stürmte, sondern kleine Schlangenlinien lief, kam man schnell vorwärts. Die Recklinghäuserin hingegen, ends-ebene westfälische Flächen gewohnt, fiel leicht zurück. Jennerwein war in diesem Gelände zu Hause, er erinnerte sich an die Umgebung der Geheimen Stelle, er kannte die Steigungen und Felsabbrüche, und er wusste, dass die beiden Ausreißer nicht weit kommen würden, wenn sie in diese Richtung weiterliefen. Links brodelte die reißende Loisach, rechts fuhren steile Felsen in die Höhe. Jennerwein hatte Sichtkontakt zu den beiden, er konnte ihre bunten T-Shirts zwischen den Büschen aufblitzen sehen, und er bemerkte bald, dass sie eine leichte Kurve liefen. Er durchschaute ihre Absichten: Sie wollten ihre Verfolger müde rennen, im Kreis laufen und zur Geheimen Stelle zurückkehren, von dort zum Parkplatz durchbrechen, um mit dem Auto zu entkommen. So hätte ich es auch gemacht, dachte Jennerwein.
»Aber nicht mit mir!«, rief er halblaut.
Die Äste peitschten ihm immer wütender ins Gesicht, er war über und über bedeckt mit roten Striemen, seine Hände wurden zerkratzt, aber er stürzte sich trotzdem ins noch dichtere Gebüsch. Jetzt ging es darum, den beiden den Weg abzuschneiden. Er winkte Nicole.
»Hier lang!«
»Sind Sie sicher?«, fragte Nicole schwer atmend.
»Ja, ganz sicher. Und stecken Sie die Waffe wieder ein.«
Motte und Mona hatten den Vorteil ihrer Jugend und ihrer jugendlichen Kräfte. Ob das aber ausreichen würde, den beiden Polizisten zu entkommen, wurde immer fraglicher. Mona hätte nicht gedacht, dass ein simpler Gipsarm so beim Laufen behinderte. Motte, der unsportliche Nerd, hielt den zugeklappten Rechner mit beiden Händen am Körper, auch damit lief es sich schlecht. Doch er hatte einen Plan. Er schwenkte scharf nach rechts.
»Was soll denn das!«, japste Mona. »Du läufst ja zurück!«
»Was geht dich das an? Warum rennst du mir überhaupt nach?«
»Ich wollte dir helfen, Mann.«
»Bei was denn?«
»Du bist in Schwierigkeiten, das sehe ich doch.«
»Wenn du was tun willst für mich, dann renn in die andere Richtung. Um sie abzulenken.«
Motte fand es cool, während des Redens weiterzulaufen. Prompt stolperte er über eine hervorstehende, glitschige Baumwurzel. Er konnte sich noch ein paar Schritte auf den Beinen halten, rödelte einige Meter weiter, rutschte dann aber schließlich aus und fiel mit einem jämmerlichen Schrei auf den nassen Waldboden. Der Schrei galt mehr dem GetacX 500 -Rechner als seinen eigenen Knochen, die sicher irgendwo im Internet nachzubestellen waren. Er wälzte sich auf dem Boden. Er stützte sich nirgends ab, er hielt den Rechner fest
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