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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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zwar so schnell wie möglich.
     
    Wie war das möglich? Es war ausgeschlossen, dass irgendjemand etwas von diesem Teil seines Lebens erfahren hatte. Es gab ja nicht einmal einen wissenschaftlichen Namen dafür. Die Psychologen qualifizierten Stimmenhören als Symptom einer paranoiden Schizophrenie ab. Der Zustand, in dem er sich befand, hatte mit Schizophrenie überhaupt nichts zu tun! Aber überhaupt nichts! Er hatte sich im Griff, er führte ein meganormales, im bürgerlichen Dasein fest verwurzeltes Leben. Das musste ein Schuss ins Blaue gewesen sein. Jeder war doch in irgendeiner Weise eine Gefahr für die Öffentlichkeit. Jeder gehörte
eigentlich
in die Psychiatrie. Mister N.N. hatte keine Ahnung.
     
    Siegfried Schäfer löste seinen Blick von der hochsommerlichen Landschaft vor dem Fenster, zog ein Buch aus der Jackentasche, blätterte darin herum und blieb an einer bestimmten Seite hängen.
    »Was liest du denn da?«, fragte sein blasser Nebenmann im Sanitätshubschrauber.
    »Hermann von Barth«, antwortete Schäfer. »
Aus den nördlichen Kalkalpen
. Berichte von Barths Bergwanderungen. Er ist übrigens der Erstbesteiger der Kramerspitze. Hat sie sich 1856 vorgenommen. Wusstest du das?«
    »Nein«, sagte Harry Fichtl.
     
    Harry Fichtl lag auf der Pritsche neben Schäfer. Er hatte wie dieser keine größeren körperlichen Schäden erlitten, das war jedenfalls der Befund der Ärztin gewesen. Fast fünf Stunden Hitze, Kälte und Nässe hatte auch er einigermaßen gut überstanden. Ein kleiner Anflug von Stolz überkam ihn: Er konnte so etwas locker wegstecken, er war anscheinend in hervorragender körperlicher Form. Er hatte zwar brennende Schmerzen im Gesicht, denn die scharfkantige Plastikmaske hatte sich zum Schluss immer tiefer ins Fleisch gedrückt. Aber sonst? Ohne weiteren Befund. Als Arzt wusste er zwar, dass die psychischen Folgen solch großer physischer Anspannungen noch kommen konnten. Aber darüber wollte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Er betrachtete Schäfer, der neben ihm lag. Der hat die Ruhe weg, dachte Harry Fichtl. Liegt da und liest. Als ob nichts geschehen wäre.
     
    Fichtl nahm sich vor, seine Gedanken ebenfalls auf ein anderes Thema zu lenken. Das war sicherlich eine gute Taktik, etwas Stress abzubauen und zur Ruhe zu kommen. Er ließ das Klassentreffen noch einmal Revue passieren. Die ersten beiden Tage waren richtig harmonisch verlaufen! Na ja, bis auf das Volleyballspiel am Donnerstagabend. Uta Eidenschink, die rücksichtslose Soziopathin, hatte es nach all den Jahren immer noch nicht begriffen, dass man den Ball nicht wild übers Netz rüberlöffelte, sondern dass es so etwas wie einen dreistufigen Spielaufbau gab. Meyer  III hatte sich darüber aufgeregt – typisch Lehrer. Die beiden waren aneinandergeraten, hatten wutentbrannt die Turnhalle verlassen und draußen weitergestritten. Wie in alten Zeiten. Aber sonst: Gespräche, Gelächter, neue Witze, alte Witze, gute Witze, schlechte Witze. Wie viele Stunden hatte er in die Planung dieses Wochenendes investiert! Es würde sicher das letzte Treffen dieser Art werden, kein Mensch würde nach so einer Katastrophe noch große Lust dazu haben. Schade eigentlich. Aber er selbst, Harry Fichtl, würde als derjenige in Erinnerung bleiben, der die ganzen Jahre über für ein Wochenende voll Entspannung und Freude gesorgt hatte. (
Fichteln
war unter den Freunden schon ein Synonym für
etwas gut organisieren
geworden.) Er blickte wieder hinüber zu Schäfer. Was war das für ein Eintrag von diesem komischen N.N. über seinen Freund Sigi?
    Oberforstrat Schäfer – der ist eine Gefahr für die Öffentlichkeit, der spinnt total. Gehört eigentlich in die Psychiatrie, und zwar so schnell wie möglich.
    Das war wirklich starker Tobak. Sein harmloser Sigi? Was sollte mit dem sein? Was bildete sich dieser verdammte N.N. ein! Und wer war er überhaupt, der feige Heckenschütze? Fichtl musterte Schäfers konzentrierte Miene. »Lies laut«, sagte er zu ihm.
    Der Oberforstrat räusperte sich und lächelte.
     
    »Ich spähte rathlos umher. Drüben, unter schwarz überwölbender Mauer, zieht sich wohl eine schräge Kluft durch’s Gewände und in sie spitzt auch ein Schuttstreifen des Oedskarls sich am weitesten herein. Aber die 20 – 25  Schritte dort hinüber – jeder Zoll ein Fragezeichen des Lebens.«
     
    Du gehörst wirklich in die Psychiatrie, dachte Fichtl.
     
    Uta Eidenschink strich ihre zerzauste rote Mähne aus dem Gesicht

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