Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
herrschte Hochbetrieb. Spätestens jetzt musste es jeder mitbekommen haben, dass eine größere Katastrophe geschehen war. Das Personal, die herumrollenden und -hinkenden Patienten, die Besucher. Der Huberbauer Toni saß im Wartebereich der Notaufnahme. Er war hierhergekommen, um sich eine Zecke entfernen zu lassen. Plötzlich wurden die Türen aufgerissen und viele grellbunte Sanitäter hasteten mit Schockraum-Liegen durch den Gang. Der Huberbauer Toni schlurfte zur Empfangsdame.
»Was ist da los?«
»Sie müssen leider warten. Dreizehn Schwerverletzte.«
»Ich bin Privatpatient.«
Noch einmal wurde die Schwungtür aufgerissen, und wiederum fuhren sie ein wie die verwegene Schar. Einige der Roll-Liegen schossen direkt am Huberbauer vorbei, und er konnte sogar ein paar Gesichter der Verletzten erhaschen. Sie waren schmerzverzerrt und blutverschmiert, er konnte keinen einzigen identifizieren. Eine Frau erkannte er dann doch. Es war Gustl Halfinger vom
Hotel Bergblick Halfinger
. Und ausgerechnet der schien es sehr schlecht zu gehen.
»Was ist denn da los, jetzt reden Sie halt!«
Die Krankenschwester hatte keinerlei Anweisungen zum Stillschweigen bekommen.
»Ein Klassenausflug auf den Berg. Wahrscheinlich ein Bergunfall. Keine echten Bergsteiger, Halbschuhtouristen. Wie immer.«
»Aber ich habe was von einer Schusswunde gehört.«
»Ja, ich weiß auch nicht. Wahrscheinlich hat es mit den Sprengungen zu tun.«
»Sprengungen?«
»Ja, am Kramer sind Sprengarbeiten wegen dem Tunnel im Gange – und die haben trotzdem ihren Ausflug gemacht.«
Die Zecke konnte er sich morgen auch noch entfernen lassen. Der Huberbauer eilte in den Kurort, um die Nachricht zu verbreiten.
45
G raf Folkhart von Herbrechtsfeld ist gerade knapp einem Mordanschlag entgangen. Der eigensinnige Folkhart verdankt sein Leben einem fuchsteufelswilden Ochsen. Der Graf hat in der ebenerdigen Gästekammer der Burg Werdenfels geschlafen, er schnarcht, er liegt weich, er träumt selig. Er ahnt nicht, dass die Wachen schon überwältigt sind, dass drei der Regensburger bereits leblos und steif in ihrem Blut liegen. Er weiß nicht, dass der Mörder schon über ihm steht, dass der Mörder den Dolch aus dem Gewand gezogen und mit beiden Händen gefasst hat, um im Schein des Mondlichts zuzustechen. Folkhart wäre gar nicht mehr aufgewacht aus seinem seligen Schlaf, wenn nicht plötzlich ein Getöse und Gerumpel sich erhoben hätte in der ebenerdigen Kammer, wenn nicht durch die dünne Holzverkleidung ein Ungetüm hereingebrochen wäre, wutschnaubend, bärenstark, sprühend vor Zorn und Muskelkraft. Der Mörder steckt angesichts dieses Ungetüms seinen scharfgeschliffenen Dolch wieder in die Manteltasche. Er mischt sich geschickt unter die in die Stube stürzenden Knechte und tut so, als würde er mithelfen, schlimmeres Unheil zu verhüten. Der Mörder ist schlau. Er ist kein wilder, blondmähniger Barbar wie der beim Brixener Überfall, er ist ein gedungener, gut ausgebildeter Heidelberger Mörder, einer der besten seiner Zeit, in allen Kniffen und Ränken bewandert. Man nennt ihn den
Mörder aus Kurpfalz
. Doch dieser Zwischenfall kommt auch für ihn überraschend. Er kann den Auftrag heute Nacht nicht mehr durchführen, das ganze Haus ist schon auf den Beinen, seinen gutbezahlten Stich kann er nicht mehr zu Ende bringen. Er muss sich etwas anderes einfallen lassen.
Odilo und der Mohr, die in der Nebenkammer schlafen, rumpeln sofort auf, als sie das Getöse hören, sie greifen zu den Waffen, eilen zu ihrem Herren und ducken sich erschrocken vor einer dampf- und feuerspeienden Bestie, die aufbockt, in die Höhe steigt und die ganze Gerätschaft des Raumes zerschlägt.
»Leck mich fett!«, ruft Odilo blass vor Schreck. »Ein Drache!«
»Nein, das ist kein Drache«, ruft der Mohr, der deutlich weniger Angst hat als Odilo. »Drachen gibt es in diesen Breiten nicht. Die kommen nur bei uns vor, in den sumpfigen Urwäldern Abessiniens. Das ist ein Ochse, der ausgekommen ist.«
Folkhart ist aus dem Fenster gesprungen, er sucht Schutz in einer Regentonne. Odilo zerrt ihn wieder heraus.
»Das ist doch kein Schutz vor einem narrisch gewordenen Ochsen, du Depp von Herr!«, schreit Odilo.
Der Ochse ist durch die dünne Wandverkleidung gebrochen, er zertrampelt den Großteil des Hausrats, bevor er wutschnaubend hinausstürzt und die Straße hinunterdonnert. Alle Burgbewohner sind jetzt wachgeworden und stürmen dem Ochsen, mehr oder weniger
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