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Fenster zum Zoo

Fenster zum Zoo

Titel: Fenster zum Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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von Wind und Wetter gezeichnet. Sie trug an jedem Finger einen Ring und wickelte regenbogenfarbige Tücher über ihre langen, dunklen Kleider.
    »Das Okapi«, sagte Muschalik nach einem Blick auf ihre Zeichnung.
    »Guten Tag, Herr Kommissar.«
    Sie hatte den Marabu gemalt, als er sie vor ein paar Jahren kennen lernte, und er hatte sie gefragt, ob er ihr die Zeichnung abkaufen könnte. »Meine Bilder sind unverkäuflich«, hatte sie erwidert. Einen Tag später hatte sie ihm die Zeichnung geschenkt, aufgerollt und mit einer roten Schleife gebunden. Sie hing in seinem Schlafzimmer über dem alten Ehebett.
    »Ich bin kein Kommissar mehr«, sagte er und stellte sich hinter sie, um ihre Zeichnung besser sehen zu können. Die Tiere auf ihren Bildern lebten nicht hinter Zäunen.
    »Was wollen Sie stattdessen tun? Jeder Mensch braucht eine Aufgabe.«
    »Ich nicht«, sagte Muschalik voller Überzeugung.
    »Auch Sie.«
    »Nein, nein. Ich habe ein Leben lang Aufgaben gehabt. Ich habe genug davon. Ich will endlich nur noch das tun, was ich wirklich will.«
    »Und was ist das?«
    »Zum Beispiel in den Zoo gehen, wann immer ich Lust dazu habe. So wie heute.«
    Die Malerin lächelte versonnen und beugte sich wieder über ihre Zeichnung. Muschalik setzte leicht verunsichert seinen Weg fort.
    Später sah er den neuen Praktikanten neben Professor Nogge am Flamingoweiher stehen. Sie waren ins Gespräch vertieft. Er wunderte sich, dass der Zoodirektor sich die Zeit nahm, ihn durch den Zoo zu führen. Er war ein viel beschäftigter Mann, und ein Praktikant im Zoo war nichts Besonderes. Professor Nogge legte eine Hand auf die Schulter des jungen Mannes, und sie standen sehr nah beieinander. Als Jartmann auflachte, da lachte er merkwürdig gackernd, wie eine Hyäne.
    Auf dem Rückweg, der Muschalik seit dem Unglück immer an den Bärenanlagen vorbeiführte, stand Jartmann neben Nelly Luxem.
    Als Muschalik näher kam, drehte er sich um und stellte sich eifrig vor: »Student der Biologie, Hauptfach Zoologie an der Kölner Universität, siebtes Semester, derzeit Praktikant. Sohn von Professor Jartmann. Sie haben sicher schon von ihm gehört.«
    »Nein«, erwiderte Muschalik.
    »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Muschalik, mein Name. Haben die Semesterferien denn schon begonnen?«
    »Nein, erst in einer Woche. Aber ich habe alle Klausuren schon hinter mir.«
    »Was wollen Sie werden?«
    »Zoodirektor, selbstverständlich«, war die fast entrüstete Antwort, und Jartmann strich mit den Fingern durch seinen krausen Bart. Sein Gesicht war kantig und in seinen hellgrauen Augen lag ein beklemmender, fanatischer Glanz.
    »Das wollte ich als kleiner Junge auch«, erinnerte sich Muschalik. Zoodirektor oder Förster oder Tierarzt hatte er werden wollen. Später hatte er mit dem Beruf des Priesters geliebäugelt, weil er dann nicht hätte heiraten müssen, das war zu einer Zeit gewesen, als er Angst vor Frauen gehabt hatte. Die Arbeit des Polizisten hatte ihn erst beeindruckt, als seine Jugendträume bereits ausgeträumt waren, als die Gerechtigkeit an die höchste Stelle seiner Lebensziele kletterte.
    »Aber Sie sind es nicht geworden, nehme ich an?«
    »Nein.«
    Jartmann interessierte sich nicht dafür, was stattdessen aus Muschalik geworden war, sondern erteilte ungefragt eine Lektion in Sachen Zoologie: »Rechts von uns liegen die Anlagen der Brillen- und Malaienbären, die auch tremarctos ornatus und helarctos malayanus genannt werden, links von uns haben wir die Anlage des Kragenbären oder auch ursus thibetanus«, begann er, »sie stammen – im Gegensatz zum Grizzly – aus den Tropen. Sie sind viel kleiner als er, gehören aber immer noch zu den Großbären. Der Malaienbär ist der kleinste unter ihnen und steht unter dem Washingtoner Artenschutzabkommen. Brillenbär und Kragenbär sind ebenso stark gefährdet. Und hier vor uns haben wir ein Prachtexemplar von einem ursus arctos horribilis, eine Unterart der Gattung ursus arctos, aus der Ordnung carnivora und der Familie ursidae.«
    Dass der ursus arctos horribilis der Grizzly ist, war Muschalik bekannt. Der Kölner Grizzly saß behäbig und friedlich am Wassergraben und sah kein bisschen horribilis aus. Sicher waren vor allem die Proportionen seines riesigen Schädels der Anlass für seinen schrecklichen Beinamen.
    »Carnivora und ursidae ?«, fragte Muschalik nach, weil Jartmann auf diese Frage zu warten schien.
    »Carnivora heißt Raubtiere, ursidae heißt Bären. Zu den Raubtieren

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