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Fenster zum Zoo

Fenster zum Zoo

Titel: Fenster zum Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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und einem Balkon.
    Und alles fiel ihm wieder ein, seine Enttäuschung, sein Zorn und Bettys Verständnis, die Wohnung, der Blick.
    Auf dem Namensschild stand immer noch Heimbach, Muschalik klingelte und nach einiger Zeit wurde ihm geöffnet.
    Berta Heimbach hatte sich kaum verändert. Sie war immer noch die zierliche Dame, die etwas wacklig auf ihren dünnen Beinen im Türrahmen stand und freundlich lächelte. Sie erkannte ihn nicht sofort, aber als er von früher sprach, kam die Erinnerung zurück.
    »Es tut mir immer noch Leid, das müssen Sie mir glauben«, sagte sie und bat Muschalik herein.
    »Ach, Schwamm drüber«, sagte Muschalik, »Hauptsache, es geht Ihnen gut.«
    Sie führte ihn über die dunkle, quadratische Diele in die einfach eingerichtete Wohnküche. Der Blick auf den Zoo war durch eine vergilbte Gardine versperrt.
    »Und ich habe jetzt auch einen Pfleger.«
    »Das freut mich.«
    »So ein netter Mann, zuvorkommend und geduldig. Ein echter Schatz.«
    »Dann haben Sie sich ja damals richtig entschieden.«
    »Ja, das habe ich wohl. Nur Sie und Ihre Frau … haben Sie denn inzwischen was Passendes gefunden?«
    »Ja.« Als Muschalik ihr von Bettys Tod berichtete, setzte sie sich mühsam auf einen Küchenstuhl und verzog dabei vor Schmerzen das Gesicht. Sie faltete ihre knochigen Hände im Schoß und sah ihn mitfühlend an.
    »Dann sind Sie ja jetzt ganz allein«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte.
    »Ja, aber ich komme zurecht.«
    Muschalik musste immer wieder zum Fenster sehen. Hinter der Gardine standen ein paar Topfpflanzen.
    »Haben Sie auch von dem Unfall im Bärengehege gehört?«
    »Ja. Im Fernsehen habe ich einen Bericht gesehen. Lesen kann ich nicht mehr gut. Bären sind und bleiben eben wilde Tiere. Das darf man nicht vergessen.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in dieser Nacht nicht irgendwelchen Krach gegeben hat. Und deswegen bin ich auch hier. Ich wollte Sie fragen, ob Sie sich an etwas Ungewöhnliches erinnern können.«
    Berta Heimbach schüttelte den Kopf. »Der Pfleger gibt mir immer Schlaftabletten, wissen Sie, wegen der Schmerzen in den Beinen, sonst könnte ich kein Auge zu tun.«
    »Und Ihr Pfleger übernachtet hier?«
    »Nein«, sagte Berta Heimbach entrüstet, »so krank bin ich nun auch wieder nicht.«
    »Um so besser.« Muschalik drückte die Hände der alten Dame und verabschiedete sich. »Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
    »Finden sie allein hinaus?«
    »Aber ja. Bleiben Sie ruhig sitzen.«
    Als Muschalik die Treppen hinunterging, hatte er Frieden mit Berta Heimbach geschlossen.
    An der Zookasse erklärte ein junger Mann dem Kassierer gerade, dass er keine Eintrittskarte benötige. Er trug einen langen, dunkelblonden, krausen Bart und hatte Arme dünn wie Striche.
    »Ich beginne heute ein Praktikum.«
    »Wie ist denn Ihr Name?«
    »Jartmann. Mein Vater ist ein berühmter Zoologe. Und Ihrer?«
    »Das ist ja wohl die Höhe!«
    Der Kassierer schickte ihn empört zur Hauptkasse, die sich gegenüber dem Kassenhäuschen im Verwaltungsgebäude befand und über eine Treppe zu erreichen war. Muschalik lüftete kurz seine karierte Schirmmütze zum Gruß und zeigte seine Jahreskarte.
    »Gehen Sie nur, Herr Muschalik«, sagte der Kassierer und schüttelte noch immer den Kopf.
    Muschalik liebte es, von einer Bank aus stundenlang den Marabu zu beobachten und seine Gewohnheiten zu studieren. Natürlich war sein Patenkind nicht der einzige Marabu im Kölner Zoo. Er lebte in einer kleinen afrikanischen Wohngemeinschaft zusammen mit den Weißnacken-Moorantilopen, obwohl er in Freiheit die Gesellschaft von Geiern und Hyänen bevorzugen würde, da er ihnen gern das erlegte Fleisch abjagt.
    Betty hatte einen ganz bestimmten Marabu aus der kleinen Gruppe gewählt, den sie immer wiedererkennen würde. Er war nicht mehr der Jüngste und zog sein linkes Bein ein wenig nach, was aber, wie der Tierarzt versichert hatte, keine Krankheit, sondern eine Eigenart war. Wie alle Zootiere hatte er einen Namen, aber davon wollte Betty nichts wissen. Sie wollte ihn nicht vermenschlichen, deshalb blieb er »der Marabu«.
    Auch die alte Malerin war da, stellte Muschalik fest, als er den Marabu verließ und nicht dem Hauptweg folgte, sondern rechts in den Seitenweg einbog, der zum Elefantenhaus und zu den Okapis führte. Sie saß wie so oft auf einem Klappstuhl am Wegesrand unter einem großen, bunten Schirm und hielt einen Zeichenblock auf ihren Knien. Ihre grauen Haare trug sie hochgesteckt, ihr Gesicht war

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