Fenster zum Zoo
während der Sibirische Tiger und der Asiatische Löwe Großkatzen sind. Der Sibirische Tiger ist der größte unter den Tigern. Sein Körperbau ist darauf ausgerichtet, Beute zu fangen, die Hinterbeine sind länger als die Vorderbeine, dafür sind die Schultern und die Vorderbeine viel muskulöser – ideale Voraussetzungen für kräftige Sprünge. Der Tiger ist ein Einzelgänger, meist leben nur Mutter und Kind zusammen, aber sie dulden auch die Gruppe.«
Seine Zuhörerschaft begann sich aufzulösen, und er geriet in Panik, schnell versuchte er neues Interesse zu wecken, indem er von den Tigern zum Löwen wechselte. Es gelang ihm nur für kurze Zeit.
Er sah die jungen Mädchen unter seinen Zuhörern erwartungsvoll an, aber sie verzogen nur die Gesichter. Die Show war vorbei, und auch Muschalik ging mit leicht schadenfrohem Grinsen seiner Wege.
Jartmanns besonderes Interesse schien der Bärenanlage zu gelten. Aus dem Nichts tauchte er für Minuten auf und redete auf Nelly Luxem ein. Und wenn er sie verließ, blieb sie wie erstarrt zurück, wagte nicht sich zu rühren, und kaum hatte sie sich gefasst, stand er auch schon wieder vor ihr und begann von Neuem.
Muschalik fragte sich, was Jartmann ihr zu sagen habe, warum sie ihn nicht fortschickte, wie ihn selbst? Warum wandte sie ihm nicht auch den Rücken zu?
Er verwarf seinen ursprünglichen Plan, die Mittagszeit zu Hause zu einem Schläfchen zu nutzen und danach die Zwillinge zu hüten. Er blieb im Zoo, trank auf der Terrasse des Restaurants zwei Gilden Kölsch und aß einen griechischen Bauernsalat. Neben ihm saßen zwei Mädchen mit ihrer Mutter vor riesigen Portionen Pommes Frites, als ein Handy klingelte. In breitem Hessisch lobte die Mutter den Kölner Zoo. Einen Tisch weiter beugte sich ein holländisches Pärchen über den Stadtplan von Köln. Die Flamingos gegenüber hatten einen lautstarken Disput. Ein Spatz setzte sich auf eine Stuhllehne und wartete flatternd auf Abfälle.
Und Muschalik dachte wieder an Nelly Luxem, rekonstruierte und analysierte.
Vor dem Unfall hatte er sie nicht mehr beachtet als die anderen Tierpfleger, außer Mattis, mit dem er sich gern unterhielt. Sie war menschenscheu und einsilbig. Jeder hatte es akzeptiert. Sie hatte sich ihr Leben auf ihre Weise eingerichtet und schien zufrieden. So wie es war, schien es gut zu sein … gewesen zu sein, jedenfalls bis zu jener Nacht. Die Art, wie sie nun über die Bärenanlage wachte, ließ ahnen, wie es in ihr aussah. Sie patrouillierte vor dem Gitter auf und ab. Unter ihrem strengen Blick wagte niemand, die drei weiß markierten Stufen zum Gitter hinabzugehen oder das Gitter zu berühren. An ein Hochklettern war nicht zu denken. Auch wenn sie das Futter für den Grizzly oben von der Bruchsteinmauer warf, hatte sie alles unter Kontrolle.
Muschalik hatte das Gefühl, an dem hohen Zaun, den sie um sich errichtet hatte, nicht länger vorübergehen zu können, ohne zu wissen, was dahinter lag. Ihre Zurückgezogenheit war plötzlich voller Geheimnisse, ihre Einsilbigkeit schien etwas zu verbergen und ihre Menschenscheu eine Flucht zu sein.
Aber das war es nicht allein.
Sie war eine ungewöhnliche Frau.
* * *
Nach dem Essen traf Muschalik Professor Nogge, der die Renovierungsarbeiten an seinem Haus inspizierte.
»Es wird noch dauern, ehe ich wieder einziehen kann«, sagte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. Skeptisch begutachtete er den Einbau der neuen Fenster.
»Ja, die Handwerker«, meinte Muschalik.
»Es war das Wetter«, berichtigte Professor Nogge, »das ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.«
»Wo wohnen Sie denn zur Zeit? Halten Sie es dort noch länger aus?«
»Ja, das muss ich wohl. Ich wohne in der Nähe von St. Kunibert. Ich werde jetzt von Glockenläuten geweckt, statt von Entengeschnatter.«
»War der Umbau schon lange geplant?«
»Ja, natürlich, es ist nicht leicht, Handwerker zu bekommen. Warum?«
»Wussten Ihre Mitarbeiter davon?«
»Sicher. Warum?«
»Ach, auch als ehemaliger Kommissar stellt man immer Fragen, sich selbst und anderen. Sind Sie mit Ihrem neuen Praktikanten zufrieden?«
Der Zoodirektor lachte und sagte: »Schon wieder eine Frage. Ja, ich bin zufrieden. Zumindest fachlich gesehen. Obwohl sein Schwerpunkt eigentlich die Raubtiere sind, kennt er sich nicht nur in den Familien ursidae und felidae blendend aus, sondern er ist auch auf allen anderen Gebieten der Zoologie bewandert. Schleichkatzen, Mähnenwölfe,
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