Ferdinand Graf Zeppelin
wollen, in welch kurzen Zeitabständen die Fahrten mit dem Luftschiff möglich sind. In erster Linie brauchen wir einen erfahrenen Seemann, der sich mit dem Navigieren auskennt.« Mit dieser Erkenntnis folgte der Graf einer Empfehlung des Freiherrn von Bassus, der ihn in mehreren Diskussionen davon überzeugt hatte, wo noch Schwachpunkte in ihrer ansonsten glänzend ausgebildeten und bis in die Haarspitzen motivierten Mannschaft zu finden waren. »Die Fahrt über den Himmel ist durchaus mit der Seefahrt vergleichbar – und trotzdem haben wir bisher keinen einzigen Seemann in unseren Reihen. Das scheint mir ein Mangel zu sein, den wir unbedingt beheben müssen – sowohl was das Navigieren als solches betrifft, als auch im Hinblick auf die Erfahrung am Steuerruder eines Schiffes, ob es sich dabei nun um ein Luftschiff oder ein normales Schiff auf dem Wasser handelt, ist dabei zweitrangig.« Mit dem Hinweis auf ihre mangelnden Navigationskenntnisse hatte Konrad von Bassus den Finger auf einen wunden Punkt gelegt, denn keiner von ihnen dürfte in der Lage sein, bei einem plötzlich auftretenden Wetterumschwung ihre Position ohne direkte Bodensicht verlässlich zu bestimmen. Und je länger sie mit dem Luftschiff unterwegs sein würden, umso höher war die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich einmal in eine solche Situation zu geraten. »Vorsicht ist bekanntlich die Mutter der Porzellankiste. Wir sollten uns also die Dienste eines erfahrenen Seebären sichern – die Sache mit dem Auftrieb werde ich ihm dann schon beibringen, wobei ich sicher davon ausgehe, dass ein solcher Mann auch in dieser Hinsicht rasch Bescheid weiß.«
So kam es am 2. September zum Bewerbungsgespräch des 37 Jahre alten Schiffssteuermanns Georg Hacker beim Grafen Zeppelin. »Ich habe gelesen, dass Sie einen Obervermessungssteuermann als ihren Stellvertreter für das Steuern Ihres Luftschiffes suchen, Exzellenz«, begann Hacker ohne Umschweife, der so schnell wie möglich von Wilhelmshaven an den Bodensee aufgebrochen war, nachdem er Kenntnis von Zeppelins Suche erhalten hatte. »Ich will gerne dieser Steuermann werden!«
»So, so«, nickte der Graf und warf einen interessierten Blick in die Papiere, die ihm Hacker überreichte. »Sie sind also aus Münchberg gebürtig …«
»… das liegt in der Nähe von Hof, also in Oberfranken«, beeilte sich Hacker zu ergänzen.
»Und wie kommen sie als Oberfranke dazu, ausgerechnet Seemann zu werden?«
»Das war schon immer mein Berufswunsch – und ich habe es nicht bereut, keinen Tag lang in all den inzwischen doch schon 22 Jahren …«
»… 22 Jahren«, echote Zeppelin erstaunt. »Das heißt, Sie fahren zur See, seit Sie 15 Jahre alt sind? Das ist eine respektable Zeitspanne! Und was hat Sie jetzt dazu bewogen, der Seefahrt doch den Rücken kehren zu wollen?«
»Ich habe zur Zeit eine Anstellung beim Meteorologischen Institut in Wilhelmshaven. Diese Arbeit habe ich kurz nach meiner Heirat angenommen. Aus Rücksicht auf meine Familie, die mich nicht wochenlang entbehren sollte. Aber so interessant diese Arbeit auch ist: auf Dauer möchte ich halt doch nicht in einem Büro versauern. Wer so weit in der Welt herum gekommen ist, taugt einfach nicht mehr für eine normale Anstellung.«
Die Tatsache, dass Hacker also über zusätzliche meteorologische Kenntnisse verfügte, machte seine Bewerbung für Zeppelin natürlich noch interessanter. Im übrigen gefiel ihm der Mann mit seiner offenen Art und dem unüberhörbar fränkischen Dialekt, den er auch nach so langer Zeit in der Fremde nicht hatte ablegen können oder wollen. Eher das letztere schien wohl der Fall.
Wenig später hatte Georg Hacker die Unterredung offenbar erfolgreich überstanden. Zumindest deutete alles darauf hin, denn zur Verblüffung seines Bewerbers ließ es sich der Graf nicht nehmen, Hacker zusammen mit dem Freiherrn von Bassus persönlich mit dem berühmten Motorboot mit seinem Luftschraubenantrieb zum Werftgelände in Manzell zu begleiten, wo sich Hacker zunächst noch ein Bild von den gewaltigen Ausmaßen des Luftschiffs machen sollte. Zwei solche Kapazitäten! Der berühmte Luftgraf und dazu der hochangesehene Gasexperte, die sich um ihn, den einfachen Gendarmensohn aus Oberfranken kümmerten! Er konnte sein Glück kaum fassen!
»Sehen Sie einmal, wer uns da entgegen gerudert kommt, Exzellenz« deutete Bassus auf ein Ruderboot, das sich ihnen rasch näherte. Eine junge Dame war an den beiden Riemen zu erkennen und winkte den
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