Ferdinand Graf Zeppelin
und dennoch blieb das Brot angesichts der Masse an hungrigen Mägen auch in den folgenden Tagen Mangelware. Niemand wollte frühzeitig aus dem Tohuwabohu abreisen, denn keiner wollte sich den Aufstieg von »LZ 3 »entgehen lassen
Die Frage war nur, wann genau dieser Aufstieg denn nun stattfinden würde? Weder am 21. noch am 22. September schien die Wetterlage verheißungsvoll – und auch am 23. wurde die Geduld der Menschen auf eine harte Probe gestellt. Manchem riss der Geduldsfaden, als sich der Aufstieg wieder verzögerte und sich Zeppelins Mannschaft allem Anschein nach sogar daran machte, das Luftschiff für die kommende Nacht sicher zu vertäuen – sehr zum lautstark vorgetragenen Verdruss des persönlich an den Bodensee gereisten preußischen Kriegsministers Karl von Einem, der sich mit harschen Worten bei seinem Gastgeber beschwerte. »Ich verplempere doch nur meine Zeit! Was Sie hier veranstalten, Zeppelin, das ist ja jämmerlich!« Einer der in der Nähe stehenden Journalisten aus dem Bodenseeraum hatte die Anwürfe vernommen und zeigte sich über die herablassende Behandlung des verehrten Grafen Zeppelin durch den Preußen derart vergrätzt, dass er sich zu einem besonders scharfen Kommentar in seiner Zeitung verleitet sah, der in der Feststellung gipfelte: »Unerhört, wie überheblich dieser preußische General den alten Herrn behandelt! Der braucht ja nicht herzukommen, wenn er keine Zeit hat! Was ist der? In naher Zukunft wird man nur noch von E i n e m etwas wissen, aber dieser Eine wird nicht der General von Einem sein!«
Das Wetter am 24. September schien endlich zu passen: strahlend blauer Himmel, kein Windhauch war zu spüren – aller Augen richteten sich infolgedessen gespannt auf die Reichsschwimmhalle, aus deren weit geöffnetem Tor das Heck von »LZ 3« wie ein überdimensionierter Walfischschwanz herausragte. Doch noch war es nicht soweit: der größte Teil des Vormittags ging vorüber, schon machte sich bei den Zaungästen der erste Unmut Luft: »Wenn die heute nicht endlich aufsteigen, dann wird das gar nichts mehr. Ein besseres Wetter gibt es doch nimmer, als dieses! Worauf warten die denn eigentlich noch?«
»Vielleicht hat der Graf die Gasrechnung nicht bezahlt«, lachte einer.
»Dummes Geschwätz!«
»Aber es scheint trotzdem irgendetwas mit der Gasfüllung zu sein«, beharrte das Lästermaul darauf, den Kern des Problems richtig erkannt zu haben.
»Er hat recht, ich sehe es jetzt ganz genau, wie sie immer wieder mit den Gasflaschen hantieren«, setzte sein Nachbar gerade das Fernglas ab. »Irgendwie muss da noch mehr Gas in die einzelnen Zellen gef …«
»Jetzt! Schauen Sie nur! Jetzt tut sich etwas. Sie machen das Floß zum Hinausschleppen bereit!«
Und jetzt ging alles rasend schnell: Die Zeiger der Taschenuhren zeigten genau auf halb Elf, als die Besatzung des Luftschiffs unter dem tosenden Applaus der Massen in die beiden Gondeln stieg, nachdem die letzten Arbeiter das Signal gegeben hatten, dass sämtliche Funktionsprüfungen positiv ausgefallen waren.
Kurz vor elf Uhr lag das Luftschiff ruhig auf der Wasserfläche vor der Halle und wartete darauf, vom Dampfer »Buchhorn« weiter hinaus auf den See geschleppt zu werden. Es war höchste Zeit, denn die mittlerweile kräftig vom Himmel strahlende Sonne erwärmte das Gas in den einzelnen Zellen schon so stark, dass es sich kräftig auszudehnen begann. Das plötzliche Summen der Überdruckventile war ein deutliches Signal! Wann würde der Graf den Befehl zum Aufstieg geben? Allzu lange sollte er nicht mehr warten! Er musste sich doch darüber im klaren sein, dass das kostbare Gas nutzlos entschwand. Doch der alte Mann mit seinem eisgrauen Schnurrbart war die Ruhe in Person. Kein Anzeichen von Nervosität war bei ihm zu erkennen, wie er sorgsam Instrument um Instrument in sein Visier nahm, dann wieder einen prüfenden Blick nach draußen warf, wo der »Frosch« und die »Manzell« den Schleppdampfer und das Luftschiff in großen Radien umkreisten, um allzu neugierige Bootsbesatzungen auf sicherer Distanz zu halten. Ein Glockensignal ertönte. Dann um 11 Uhr 48 das Kommando: »Die Leinen los!« Ruhig und majestätisch stieg das Luftschiff empor, begleitet von einem wahren Jubelsturm der Menschen am Ufer und auf den Booten. Fast schien es so, als trieben allein diese Hurrarufe das Schiff in immer weitere Höhen. Dann setzten die Luftschrauben ein: »LZ 3« nahm Fahrt auf und entschwand als kleiner und kleiner werdender
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