Ferdinand Graf Zeppelin
Nachttisch gelegte hatte, unter der Überschrift »Weltpost und Luftschifffahrt« einen gedruckten Vortrag des preußischen Generalpostmeisters Heinrich von Stephan, der sich ausführlich mit den Vorzügen eines Brieftransportes mittels gasgefüllten Ballonen durch die Luft beschäftigte. Schlagartig war es schon nach den ersten Zeilen mit der quälenden Langeweile vorbei. »Das ist ja hochinteressant!« Begeistert klatschte er in die Hände und richtete sich ruckartig auf, was augenblicklich einen qualvollen Schmerzensschrei zur Folge hatte: in seiner plötzlichen Euphorie hatte er schlichtweg vergessen, sich wegen der schweren Prellungen, die immer noch nicht vollständig abgeheilt waren, langsam und vorsichtig zu bewegen.
Augenblicklich war Bella zur Stelle, die den Schmerzenslaut nebendran im Wohnzimmer vernommen hatte und sich sorgenvoll über ihren schwer atmenden Mann beugte. »Ferdi! Um Himmels Willen! Was ist denn passiert?«
Ferdinand winkte kraftlos ab. »Es … es ist nichts … Ich … ich hab mich nur falsch bewegt … du liebe Güte: das tut aber immer noch ordentlich weh!« keuchte er und verzog sein Gesicht zu einer schmerzvollen Grimasse.
»Deswegen sage ich dir doch die ganze Zeit, dass du vorsichtig sein und dich noch schonen sollst!« erwiderte Bella kopfschüttelnd und stemmte dabei vorwurfsvoll ihre Hände in die Hüften. »Was ist es denn, das dich derart in Wallung gebracht hat?«
»Es ist dieser Text hier«, deutete ihr Ehemann mit einer Kopfbewegung zu der mittlerweile auf dem Boden liegenden Abhandlung, die ihm bei seiner Schmerzattacke aus den Händen gefallen war.
»Briefe mit Ballonen zu befördern … was ist denn das für eine seltsame Idee«, murmelte Bella stirnrunzelnd, während sie die Blätter vom Boden aufsammelte.
»Das ist nicht seltsam, das ist interessant und folgerichtig«, widersprach Ferdinand postwendend. »Es ist genau die Idee, die ich schon selber mehrfach in mir bewegt habe. Ich bin bisher nur noch nicht dazu gekommen, diesen Gedanken in aller Ausführlichkeit weiter zu verfolgen. Du weißt doch, dass ich dir erzählt habe, wie sie schon im Sezessionskrieg solche Ballone zu Erkundungszwecken genutzt haben. Und dann habe ich es ja ebenfalls mit eigenen Augen sehen können, wie man im Herbst 1870 Menschen und Briefe aus dem belagerten Paris gebracht hat. Eine absolut faszinierende Angelegenheit. Die Post würde damit um ein vielfaches schneller an ihren Bestimmungsort gelangen können, wenn man sie über den Himmel schicken würde. Und erst die militärischen Einsatzmöglichkeiten: wenn wir den Feind mit einem Mal vom Himmel aus bekämpfen könnten. Damit öffnen sich völlig neue Perspektiven. Die Krux dabei ist bisher eben nur, dass diese Ballone nicht lenkbar sind. Denn wenn der Wind dreht, dann schwebt der Ballon in genau die falsche Richtung. Darin liegt das Problem.«
»Und du meinst, es sei einem Menschen möglich, in der Luft gegen die Kräfte der Natur zu bestehen?«
»Man muss nur wollen und daran glauben, dann kann es gelingen«, nickte Ferdinand ernst. »Auch, wenn uns all das momentan noch kühn und unerreichbar erscheinen mag. Im Generalstab wollen sie sowieso nichts davon wissen, ich habe mir dort bei jeder meiner Eingaben grundsätzlich eine Abfuhr geholt. Und das nur, weil sie ja mit eigenen Augen seinerzeit erlebt haben, dass die aus Paris aufgestiegenen Ballone nicht lenkbar waren und manche mitsamt ihren Insassen direkt in unsere Arme geweht worden sind. Und an eine Lenkbarkeit wollen sie einfach nicht glauben. Das werde niemals möglich sein, argumentieren sie. Ich denke aber schon, dass uns eines nicht allzu fernen Tages findige Köpfe die Lösung dieses Problems präsentieren werden. Möglicherweise muss man, um diese Anforderung bewältigen zu können, zunächst alles noch einmal grundsätzlich überdenken. Beispielsweise bin ich im Zweifel darüber, ob der Ballon in seiner bisherigen Form wirklich als lenkbares Objekt geeignet ist. Vielleicht sollte er gar nicht rund sein, sondern langgestreckt – bei aller Problematik, die das im Hinblick auf die Ausdehnung des Gases womöglich mit sich bringt. Aber andererseits würde er damit weniger Angriffsfläche für die Winde bieten und womöglich wäre es auch besser, wenn man die Hülle zusätzlich noch versteifen würde …« sinnierte er.
»Ich sehe schon: du hast also jetzt endlich den richtigen Lesestoff gefunden«, lächelte Bella zufrieden und drückte ihrem Ferdinand die Seiten, die
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