Ferien mit Mama und andere Katastrophen
kleine Marienstatue, als sich ihm von deren Kopf eine weitere Schlange neugierig entgegenreckte. Entweder war er blind oder ein Held oder beides zugleich, denn er hielt ihr seine Hand hin, sodass sie hinaufkriechen konnte und sich um seinen Arm schlängelte.
Mir brach der kalte Schweiß aus. Hekate, betete ich stumm, lass dies nicht mein letzter Tag sein. Ich hab doch noch nicht mal einen Jungen geküsst.
Und dann passierte es. Aus einem von der Decke hängenden Kerzenleuchter seilte sich eine Schlange direkt über Mama ab. Wahrscheinlich hielt sie meine Mutter für eine Säule zum Hinabklettern, weil sie sich nicht mehr bewegte. Doch als das Vieh züngelnd neben ihrem Gesicht auftauchte, siegte schließlich doch ihre Angst. Schreiend stürzte sie aus der Kirche.
Margarete versuchte noch, mich aufzuhalten, doch ich rannte Mama kreischend hinterher. Draußen fielen wir uns beide kurz in die Arme, dann rannten wir weiter, rissen unsere Räder vom Zaun und traten in die Pedale.
»Ulrike!«, rief Kubasch plötzlich von irgendwoher aus der Dunkelheit. »Die sind doch völlig harmlos!«
Doch Mama hatte genug und ich auch. Wir rasten davon, Kubasch hinter uns her. Auf dem holprigen Weg schlug ich mir fast die Zähne aus. Mama war aber nicht mehr zu bremsen. Nach der dritten Wegbiegung gab der liebe Wolfgang schließlich auf.
Eine Weile radelten wir schweigend nebeneinander her. Der Mond war inzwischen aufgegangen und schaukelte zwischen den Sternen.
Warum kann es nicht einfach ein ganz normaler Urlaub sein?, dachte ich, einer, bei dem wir abends im Hotel sitzen und uns von mir aus griechische Volkstänze anschauen?
»Tut mir leid«, sagte Mama schließlich, »als deine Mutter hätte ich dich nicht allein in dieser Schlangenhölle zurücklassen dürfen.«
Ich seufzte. Wenn sie jetzt von diesem Kubasch und ihrer fixen Idee kuriert war, dass ich unbedingt mehr Bildung brauchte, dann war es diese ganze Aufregung wenigstens wert gewesen. Aber wenn Hekate hinter allem steckte, dann Gnade uns Gott, denn die Dame besaß wirklich einen komischen Humor.
Am anderen Morgen hockten alle still an ihren Tischen. Irgendwie hatte Kubasch es wohl ein wenig übertrieben. Studienreise hin oder her, selbst Lehrer wollen nicht immer alles ganz genau wissen. Nur Altgriechisch winkte uns gut gelaunt zu, als wir den Frühstücksraum betraten.
Mama bugsierte mich aber zu unserem Stammtisch gleich neben dem Springbrunnen. Sie liebte dieses sanfte Geplätscher, bei dem man noch ein wenig vor sich hindösen konnte. Doch heute schien unser Plätschereckchen schon besetzt zu sein. Auf meinem Platz stand ein riesiger Obstshake. Verwundert schaute ich mich um, denn es gab auf dem ganzen Büfett keinen einzigen Kiwi-Melonen-Trauben-Shake.
Mama zuckte mit den Schultern. »Frag nicht, trink ihn einfach. Sieht doch ganz lecker aus.«
Ich holte mir also ein paar Brötchen und Honig und dann machte ich mich über den Shake her. Lecker war stark untertrieben, er schmeckte einfach himmlisch. So ein exotischer Fruchtmix mit Eiswürfeln war genau das Richtige in dieser Hitze.
Während ich noch die Augen verdrehte, stieß Mama mich plötzlich an. »Guck mal, Sophie, du hast Post.«
Post? Wer sollte mir denn hier schreiben?
»Mach doch mal auf«, drängelte Mama.
Neben meinem Shake lag ein kleiner, gefalteter Zettel.
»Der ist bestimmt nicht für mich«, murmelte ich.
»Heiße ich etwa Sophie oder du?«
Tatsächlich, da stand mein Name drauf. Mama kroch vor Neugier fast auf meinen Schoß, als ich den Zettel auseinanderfaltete.
»Noch nie was von Postgeheimnis gehört?«, protestierte ich und rückte mit meinem Stuhl ein Stück weg.
Auf der Rückseite einer abgerissenen Restaurantrechnung stand mit krakeliger Schrift:
Liebs Sophie,
du möchten Ausflug mich gutmachen 11 abens?
Nikos
Mich traf fast der Schlag.
»Und?«, nervte Mama.
»Nichts und «, sagte ich.
Konnte sie nicht mal eine Sekunde still sein, damit ich mich von dem Schock erholen konnte? Der griechische Prinz hieß also Nikos. Ich summte seinen Namen stumm in meinem Kopf.
NIKOS .
Plötzlich lief eine Hitzewelle durch mich hindurch. War das etwa ein Date? Ein echtes Date? Was sollte ich denn jetzt machen? Wenn man Luise ein Mal braucht, ist sie nicht da. Typisch.
Als ich endlich wagte, wieder hochzuschauen, war von diesem Nikos nirgendwo etwas zu sehen. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er grinsend in einer Ecke lauerte, denn der Zettel musste doch irgendwie auf meinen Platz
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