Ferien mit Mama und andere Katastrophen
schleppte er denn da mit? Das Opfer etwa?
Plötzlich sah ich Kubasch aus der Menge heraus winken. Er lotste uns an der langen Eingangsschlange vorbei. Und dann waren wir drinnen in Knossos, dem Labyrinth des verfluchten Kindes, dem Königspalast eines fernen minoischen Königs oder was weiß ich. Zadek hatte seinen Arm fest um meine Schultern gelegt, damit ich nicht in der Menge verschwand. Das hätte leicht passieren können, zumal mich gerade eine ziemliche Panik packte, was unser Vorhaben betraf.
Kubasch schien sich in Knossos bestens auszukennen. Er lief mit einem großen Sonnenschirm voran und dirigierte uns an den Rand der Ausgrabungsstätte, wo man den besten Überblick hatte. Mama hatte mich am Morgen gezwungen, meinen riesigen Strohhut aufzusetzen, was eigentlich eine gute Idee war, doch so hatte sie mich immer im Blick, als wir über die hohen Steinstufen stiegen.
In der Ausgrabungsstätte herrschte ein unglaubliches Gedränge und Geschiebe. Die Führer redeten in allen möglichen Sprachen auf ihre Gruppen ein. Mir war einfach nur heiß, trotz Sonnenhut.
Und dann passierte es. Während die anderen den Lilienprinzen an der Wand bestaunten, wurde der Druck von Zadeks Hand in meinem Nacken plötzlich stärker. Er schob mich durch eine Gruppe lauter Amerikaner die Treppe hinunter. In dem Durcheinander verlor ich meinen Hut.
»Los, los«, drängelte Zadek, »sonst erwischen sie uns noch«, und schob mich unter einem Absperrseil hindurch.
Ich wusste nicht, was mir im Moment mehr Angst machte, Zadek oder einer dieser Wächter, die jeden anranzten, der einem ihrer heiligen Steine zu nahe kam. Aber Zadek kümmerte das im Moment offenbar wenig. Er packte meine Hand und so rannten wir beide zu einem großen Steinhaufen und ließen uns dahinter fallen. Mein Herz pochte gleich unter meiner Schädeldecke und ich sah Sterne. Bei so einer Hitze zu rennen, war völlig ungesund.
Doch Zadek trieb mich weiter an. »Wir müssen ein kleines Feuer machen!«
Feuer, bei der Hitze? Hoffentlich wusste er, was er da tat. Ich dachte an Nikos. War Liebe wirklich so eine komplizierte Sache?
Zadek holte dann eine Menge merkwürdiger Dinge aus seinem Rucksack hervor: Steine, Knochen, Stöcke, Federn und ein Feuerzeug. Und als ich ihn verständnislos anstarrte, erklärte er: »Wir machen ein Feuerorakel.«
»Haben Sie so was schon mal gemacht?«, flüsterte ich, denn schon allein die Vorstellung, dass mein Mathelehrer in einer der berühmtesten Ausgrabungsstätten der Welt ein Feuer anzünden wollte, kam selbst mir bedenklich vor.
»Nee«, sagte Zadek. »Hab ich aber mal in einem Buch gelesen.«
Dann war ja alles in Ordnung, er hatte es in einem Buch gelesen.
»Die Griechen waren zwar die Erfinder der klassischen Vernunft«, sagte er ernst, als er die Stöcke und Federn zu einer kleinen Pyramide zusammenfügte, »aber um die Zukunft vorherzusagen, lauschten sie dem Wind.«
Ich würde jetzt also mit meinem Mathelehrer dem griechischen Wind lauschen? Das war sein Plan?
Er grinste mich an. »Hast du deinen Brief dabei?«
Ich holte meinen zusammengefalteten Zettel aus meiner Jeanstasche, auf dem ich Hekate in einer flammenden Rede anflehte, mir doch bitte, bitte zu verraten, wo ich Nikos wiederfinden konnte.
»Wir werden unsere Wünsche gleich den Luftgeistern überantworten, Sophie!«
Zadek war mir bisher als einer der vernünftigsten Menschen der Welt erschienen, und jetzt wollte er Götterpost in den Himmel schicken? Als er unser Orakelfeuer samt Federn und Blättern entzündete, hatte ich das Gefühl, vor Angst gleich mit in Flammen aufzugehen.
»Los, du zuerst!«, flüsterte er dann.
Mein Brief verbrannte ziemlich schnell, auch Zadeks Wünsche zerfielen sofort zu Asche. Ich wollte schon aufatmen, als plötzlich die verkohlten Reste unserer Götterbriefe die Reise in den hohen Himmel antraten. Und einige davon flammten wieder auf!
Ich sah schon die Schlagzeile in der Zeitung: Deutsche Schülerin fackelt mit ihrem durchgeknallten Mathematiklehrer eine der größten Weltkulturerbestätten ab. Da wusste ich noch nicht, dass gewisse andere Personen an diesem Tage weitaus mehr Scherereien verursachen würden. Doch wir hatten Glück.
»Und nun?«, fragte ich, als das Feuer zu einem Aschehäufchen zusammengesunken und die Götterpost auf Nimmerwiedersehen in den Himmel entschwunden war. Das Entscheidende hatten wir nämlich vergessen. Zadek schaute mich fragend an.
»Na, das Opfer!«, sagte ich.
»Was denn für ein
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