Ferien mit Oma
Wagentür erschien, sah sie gerade noch, wie das kleine Zelt zusammenstürzte. Unter den Zeltbahnen wand sich ein wildwogender Haufen, wütendes Gebrüll ertönte. Ein gellender Schrei trieb auch den Vater der rotblonden Jungen vor die Zelttür. Nun tauchte ein Bein aus dem Haufen von Leinwand und Zeltstäben auf, ein Bein, dessen rundliche, braune Wade in einer geringelten, grünen Socke Oma bekannt vorkam. Sie packte es und zog daran. Peter kam zum Vorschein. Sein Hemd war zerrissen, seine Backen glühten, seine Augen blitzten. Nach und nach tauchten dann aus dem Leinwandhaufen auch die drei anderen Buben hervor, Jan mit einer Kratzspur über der Nase. Der jüngere Rotschopf hatte eine Zeltbahn wie einen Umschlag um den Hals gewickelt. Seinem älteren Bruder liefen Tränen der Wut und des Schmerzes über die Backen.
„Er hat mich ins Bein gebissen“, jammerte er und zeigte anklagend auf Peter. Peter nickte stolz.
Der rothaarige Vater stemmte die Hände in die Hüften. „Du hast dich von einem kleineren verhauen lassen? Schäm dich. Heul nicht, sondern bau lieber das Zelt wieder auf, zack, zack. Ich will jetzt keinen Ton mehr hören. Wir haben Mittagsruhe, verstanden?“ Damit verschwand er im Zelt.
Der größere Junge versuchte, sich das Weinen zu verbeißen. Er wollte aufstehen, knickte aber wieder in sich zusammen.
„Zeig mal her!“ Oma zog ihn auf die Wagenstufen und schob sich ihre Brille auf die Nase. In der glatten, braunen Haut der Wade sah man deutlich die Abdrücke von Peters Zähnen, es quoll sogar ein bißchen Blut hervor. „Aber, Peter“, sagte Oma, „du bist doch kein wilder Hund!“
„Laß man, er hat’s verdient“, sagte Jan.
„Natürlich hat er’s verdient“, rief Peter. Jan wollte ihn am Weitersprechen hindern, aber Peter sprudelte zornig hervor: „Er hat doch gesagt, du wärst ‘ne komische alte Schachtel.“
Der rotblonde Junge wollte aufstehen und sich davonmachen, aber Oma hielt ihn fest. „Halt, ich will dir doch deine Wunde verbinden. Wie heißt du?“
„Helmut. Aber sind Sie denn nicht beleidigt, weil ich Sie eine alte Schachtel genannt habe?“
„Ach“, sagte Oma, „das ist doch keine Beleidigung. Es gibt sehr hübsche alte Schachteln.“ Sie wandte sich an ihre Enkelkinder. „Zum Beispiel die Schachtel, in der ich immer die Weihnachtskekse aufbewahre, ihr wißt doch, die mit Silber- und Goldpapier beklebt ist. Alte Schachteln sind oft geheimnisvoll und voller Überraschungen.“ Oma holte den Verbandskasten aus dem Wagen, säuberte die Wunden der Krieger und beklebte sie mit Pflaster. Auch Frank, Helmuts jüngerer Bruder, und Jan hatten tüchtige Schrammen davongetragen. „Und nun baut ihr alle zusammen das Zelt auf“, sagte sie schließlich.
Jan und Peter machten verdrossene Gesichter, aber Oma blieb fest. Schließlich waren alle vier einträchtig an der Arbeit. Helmut und Frank zeigten Jan und Peter, wie man die Zeltstäbe aufrichtet, die Bahnen spannt und die Zeltpflöcke in die Erde schlägt. Sie gaben kein bißchen an, sondern waren kameradschaftlich und freundlich. Als Helmut sagte: „Eure Großmutter ist ‘ne prima alte Schachtel“, nahmen Jan und Peter das nicht übel, denn sie waren ja jetzt Freunde, und der Ausspruch war nur freundschaftlich gemeint.
Oma bekam unterdessen einen neuen Patienten. Als sie ihren Verbandskasten einräumte, hörte sie jemand hinter dem Wagen schluchzen. Die Dame mit dem blauen Strohhut hockte zusammengekrümmt vor ihrem Zelt und jammerte. Die Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie war rot wie ein gesottener Krebs, und auf ihrem Rücken bildeten sich dicke Blasen. Die Dame mit dem roten Strohhut stand hilflos davor.
„Wein doch nicht, Lottchen“, rief sie, „wein doch nicht!“ Oma betrachtete den Schaden. „Einen Augenblick, das werden wir gleich haben.“ Sie verschwand im Wagen und kehrte kurz darauf mit Verbandsstoff zurück. Die beiden Damen beobachteten sie mit hoffnungsvollen Augen. Mit einer ausgeglühten Nadel stach Oma die dicksten Blasen auf, streute dann kühlenden Puder auf den kranken Rücken und legte eine Lage Verbandmull darüber, den sie an den Rändern festklebte.
„Wie geschickt Sie das machen“, sagte die Dame im roten Strohhut anerkennend.
„Es tut schon gar nicht mehr so sehr weh“, flüsterte die andere. Kurz darauf saßen beide mit Oma im grünen Wagen und tranken Kaffee. Sie hatten sich als „Geschwister Bertel“ vorgestellt.
„Sagen Sie“, fragte Oma, „warum haben Sie
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