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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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»Aber der Schein trügt wohl.«
    »Sieht so aus«, erwiderte ich trocken. »Und warum ›Lady Jane‹?«
    »Ach, damit hat Hoechstein angefangen.« Er lehnte sich zurück. »Wegen Ihres Akzents. Sie klingen so, als hätten Sie gerade mit der Queen Tee getrunken, und das macht den anderen angst. Aber das allein ist es nicht.« Nachdenklich sah er mich an. »Sie reden, als wären Sie es gewohnt, Ihren Willen durchzusetzen. Und wenn nicht, dann können die anderen aber was erleben! Wo haben Sie das gelernt?«
    »Im Krieg.« Bei seiner Beschreibung mußte ich lächeln.
    Erstaunt runzelte er die Stirn. »In Korea?«
    »Nein, im Zweiten Weltkrieg. Ich war Sanitätsschwester in Frankreich. Da gab es viele Oberschwestern, die die Ärzte mit einem Blick zum Zittern bringen konnten.« Und später hatte ich jede Menge Gelegenheiten, meine Aura unantastbarer Autorität - wenn sie auch nur vorgegeben war - vor Leuten, die über weitaus mehr Macht verfügten als die Schwestern und Ärzte des Bostoner Krankenhauses, zu verfeinern.
    Nickend sann er über meine Erklärung nach. »Ja, das kann ich mir denken. Ich habe mir die Walter-Cronkite-Technik angeeignet.«
    »Welche Technik?«
    Sein Goldzahn blitzte auf. »Können Sie sich was Besseres vorstellen? Außerdem bekam ich sie jeden Abend kostenlos im Fernsehen oder Radio vorgeführt. Ich habe dann meine Mutter damit unterhalten - sie wollte, daß ich Geistlicher werde.« Er lächelte ein wenig bitter. »Auf der Straße in unserer Gegend hätte ich mir derartige Faxen allerdings nicht leisten können.«
    Joe Abernathy gefiel mir mit jedem Augenblick besser. »Hoffentlich war Ihre Mutter nicht enttäuscht, als Sie nicht Geistlicher geworden sind, sondern Arzt.«
    »Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht genau«, erwiderte er, immer noch grinsend. »Als ich ihr von meinen Plänen erzählt habe, hat sie mich erst mal nur angestarrt. Dann hat sie geseufzt und gesagt, wenigstens bekäme sie so ihre Medizin für das Rheuma billiger.«

    Ich lachte. »Mein Mann hat der Sache noch weniger Geschmack abgewinnen können, als ich ihm sagte, ich wollte Medizin studieren. Er meinte, wenn ich Langeweile hätte, sollte ich die Insassen der Pflegeheime besuchen und ihnen beim Briefeschreiben helfen.«
    Joes Augen schimmerten goldbraun. Lustige Funken tanzten darin, als er mich ansah.
    »Ja, die Leute glauben immer noch, sie wüßten besser, was gut für einen ist. ›Was haben Sie hier zu suchen, kleine Frau? Sollten Sie nicht zu Hause sein und für Mann und Kind sorgen?‹« spottete er.
    Dann lächelte er traurig und tätschelte meine Hand. »Keine Sorge, irgendwann geben sie es auf. Mich fragen sie meist auch nicht mehr, warum ich nicht die Toilette putze, wie Gott es mir vorbestimmt hat.«
    Da erschien eine Schwester und berichtete, daß mein Blinddarm aufgewacht war. Ich mußte gehen, doch die Freundschaft, die über Tessa und Valdez entstanden war, wuchs und gedieh. Joe Abernathy wurde einer meiner besten Freunde - vielleicht der einzige, der mir wirklich nahe war und der mich verstand.
     
    Ich lächelte, während meine Finger über die goldenen Buchstaben auf dem Titel fuhren. Dann beugte ich mich vor und steckte das Buch weg. Vielleicht nicht der richtige Augenblick, um in eine Traumwelt zu flüchten.
    Draußen trennte uns die im Mondlicht schimmernde Wolkenschicht von der Erde. Im Gegensatz zu den Kämpfen des Alltags war die Welt hier oben von stiller, majestätischer Schönheit.
    Ich hatte das seltsame Gefühl, bewegungsunfähig in einen Kokon aus Einsamkeit eingesponnen zu sein. Selbst das schwere Atmen der Frau neben mir, das Zischen der Klimaanlage und das Schlurfen der Stewardeß schienen zu der weißen Stille zu gehören. Ich schloß die Augen und gab mich dem Gefühl hin, schwerelos dahinzuschweben. In Schottland waren Brianna und Roger auf der Jagd nach Jamie. In Boston warteten das Krankenhaus und Joe auf mich. Und was war mit Jamie? Ich versuchte, nicht an ihn zu denken, bevor ich mich entschieden hatte.

19
    Abschied
    Endlich daheim in der Furey Street, im Haus, in dem ich beinahe zwanzig Jahre lang mit Brianna und Frank gewohnt hatte. Die Azaleen am Eingang waren zwar noch nicht eingegangen, aber die Blätter hingen traurig herab. Der Sommer war heiß gewesen - andere gab es in Boston nicht -, und der gewohnte Augustregen ließ auch jetzt im September noch auf sich warten.
    Ich stellte mein Gepäck im Hausflur ab und machte mich daran, die Pflanzen zu versorgen.
    Eigentlich

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