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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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brachte Roger zu ihrer Entschuldigung vor.
    Claire nickte gedankenverloren.
    »Jamie konnte das auch«, sagte sie leise. »Sich hinlegen und auf der Stelle einschlafen, ganz gleich, wo er war.«
    Sie wurde still. Roger trieb das Boot mit gleichmäßigen Ruderschlägen auf die mächtigen, furchteinflößenden Ruinen der Burg Urquhart zu, die am Ufer zwischen den Kiefern standen.
    »Leider wird es immer schwerer«, sagte Claire schließlich. »Die erste Reise durch die Steine war für mich das Schrecklichste, was ich je erlebt hatte. Aber die Rückkehr war noch tausendmal schlimmer.« Ihr Blick haftete auf den alten Felsmauern. »Womöglich lag es daran, daß ich nicht den richtigen Tag gewählt habe. Als ich in die Vergangenheit ging, hatten wir Beltene, aber zurück kam ich etwas früher. Und Geillis - ich meine Gillian - ging gleichfalls an Beltene durch die Steine.«
    Trotz der sommerlichen Temperaturen fröstelte Roger plötzlich. Vor seinen Augen entstand das Bild der Frau - seine Ahnherrin und gleichzeitig seine Zeitgenossin -, die einen Moment wie erstarrt im Licht des flackernden Opferfeuers stand, bevor sie in dem gespaltenen Stein verschwand.
    »So stand es in ihrem Notizbuch - an den alten Sonnen- und Feuerfesten ist die Pforte offen. Vielleicht gibt es in den Tagen davor und danach nur einen kleinen Spalt. Aber womöglich hatte sie sich ja auch geirrt; schließlich glaubte sie, daß für den Übergang ein Menschenopfer nötig war.«
    Claire schluckte schwer. Am Morgen des ersten Mai hatte die Polizei den mit Petroleum übergossenen Leichnam von Gillians Mann, Greg Edgars, vom Craigh na Dun fortschaffen müssen. In ihrem Bericht hieß es von seiner Frau: »Geflüchtet, Aufenthaltsort unbekannt.«
    Claire beugte sich über den Bootsrand und ließ die Hand im
Wasser baumeln. Eine kleine Wolke schob sich vor die Sonne. Plötzlich wurde der See grau, und unruhige Wellen kräuselten sich, als der Wind sich hob. Die Wasserfläche unter ihnen wirkte wie ein undurchsichtiger schwarzer Spiegel.
    »Würden Sie hinuntertauchen, Roger?« fragte Claire leise. »Über Bord springen und sich in die Tiefe stürzen, bis Ihnen die Lungen platzen? Ohne zu wissen, ob es dort riesige Bestien mit Reißzähnen gibt?«
    Roger spürte, wie sich auf seinen Armen die Haare aufstellten. »Aber das ist nicht alles«, fuhr Claire fort, während sie weiter auf die blanke, schwarze Fläche starrte. »Würden Sie springen, wenn Sie wüßten, daß Brianna Sie dort erwartet?« Sie richtete sich auf und sah ihn an.
    Er befeuchtete sich die Lippen und blickte kurz hinter sich, auf das schlafende Mädchen. Dann wandte er sich wieder zu Claire um.
    »Ja, ich glaube, das würde ich.«
    Sie sah ihn einen Moment lang schweigend an. Dann nickte sie ernst.
    »Ich auch«, sagte sie.

FÜNFTER TEIL
    Es gibt kein Zurück

18
    Wurzeln
    September 1968
    Die Frau im Flugzeugsitz neben mir ächzte im Schlaf. Ich schob meinen Arm nach oben und schaltete die kleine Lampe an, um einen Blick auf meine Uhr zu werfen: halb elf Uhr abends nach Londoner Zeit. Mindestens noch sechs Stunden bis nach New York.
    Das Flugzeug war erfüllt vom Schnarchen und Schnaufen der Passagiere, die so gut wie möglich zu schlafen versuchten. Bei mir waren alle Bemühungen vergeblich gewesen. Mit einem resignierten Seufzer fischte ich den Roman aus der Tasche, den ich angefangen hatte. Er war von meiner Lieblingsautorin, aber bald merkte ich, daß meine Gedanken in die Ferne schweiften - entweder zu Roger und Brianna, die in Edinburgh geblieben waren, um die Suche fortzusetzen, oder zu dem, was mich in Boston erwartete.
    Leider wußte ich nicht genau, was das war. Die Rückkehr konnte nicht länger aufgeschoben werden, weil ich meinen Urlaub einschließlich aller Verlängerungen längst aufgebraucht hatte. Ich mußte die Dinge mit dem Krankenhaus regeln, Rechnungen zahlen, mich um das Haus und den Garten kümmern - wenn ich nur daran dachte, wie hoch der Rasen hinter dem Haus jetzt sein mußte, wurde mir ganz schlecht - und ein paar Freunde besuchen…
    Insbesondere einen. Joseph Abernathy, meinen besten Freund aus Studienzeiten. Bevor ich eine endgültige und höchstwahrscheinlich unwiderrufliche Entscheidung traf, wollte ich mit ihm sprechen. Lächelnd klappte ich das Buch zu und fuhr mit dem Finger die geprägten Buchstaben auf dem Einband nach. Denn unter anderem verdankte ich Joe meine Vorliebe für Kitschromane.

     
    Ich kannte Joe seit der praktischen Ausbildung. Er stach

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