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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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bißchen besser. Aus meinen Gliedern wich allmählich die Schwäche und aus meinem Kopf das chaotische Gefühl der Zerrissenheit. Die Reise war so schlimm gewesen wie befürchtet, vielleicht sogar schlimmer. Schaudernd spürte ich die schreckliche Gegenwart der Steine, und meine Haut prickelte vor Kälte.
    Aber ich lebte. Ich lebte und hatte das leise Gefühl der Gewißheit, das wie eine winzige Sonne in meinem Innern glühte. Er war hier . Ich wußte es jetzt, obwohl ich es nicht gewußt hatte, als ich mich in den Steinkreis warf. Ich hatte mich an Jamies Bild geklammert wie an ein Rettungsseil im tobenden Sturm - und das Seil in meiner Hand hatte sich gestrafft und mich herausgezogen.
    Ich war naß und kalt und fühlte mich zerschlagen, als hätte mich die Brandung gegen die Felsküste geschmettert. Aber ich war hier. Und irgendwo in diesem seltsamen Land der Vergangenheit lebte der Mann, den ich suchte. Trauer und Schrecken verblaßten, als
mir klarwurde, daß die Würfel gefallen waren. Es gab kein Zurück mehr. Den Rückweg hätte ich wahrscheinlich nicht überlebt. Als ich erkannte, daß ich vermutlich den Rest meiner Tage hier verbringen würde, wurden alle Zweifel und Ängste von einer merkwürdigen Ruhe überdeckt. Ich konnte nicht umkehren. Mir blieb keine Wahl, als vorwärts zu gehen und ihn zu suchen.
    Rasch vergewisserte ich mich, daß mein Päckchen mit belegten Broten die Reise überstanden hatte. Wie gut. Der Gedanke, vierzig Meilen mit leerem Magen zu wandern, war nicht gerade angenehm.
    Mit etwas Glück würde mir das erspart bleiben - vielleicht fand ich ein Dorf, wo ich ein Pferd kaufen konnte. Wenn nicht, war ich auch darauf vorbereitet. Ich hatte vor, mich nach Inverness zu begeben und dort die Postkutsche nach Edinburgh zu nehmen.
    Es war schwer zu sagen, wo sich Jamie zur Zeit aufhielt. Vielleicht in Edinburgh, wo sein Artikel erschienen war, aber ebensogut konnte er anderswo sein. Wenn ich ihn dort nicht fand, würde ich nach Lallybroch fahren, wo er herstammte. Gewiß würde seine Familie wissen, wo er steckte - falls jemand von ihnen überlebt hatte. Mich fröstelte.
    Ich mußte an ein psychedelisches Poster denken, das ich in einem Buchladen neben dem Krankenhaus gesehen hatte. Es zeigte eine Raupe, die an einem Blumenstengel hochkriecht. Über dem Stengel schwebte ein leuchtendbunter Schmetterling, und darunter stand der Satz: »Auch eine Reise von tausend Meilen beginnt mit einem einzigen Schritt.«
    Das Ärgerliche an diesen Sprüchen ist, daß sie oft den Nagel auf den Kopf treffen, dachte ich bei mir. Also ließ ich die Eberesche los und tat den ersten Schritt in meine Zukunft.
     
    Die Reise von Inverness nach Edinburgh war lang und anstrengend. Ich war in einer großen Kutsche mit zwei anderen Damen, dem weinerlichen Söhnchen der einen Dame und vier Herren unterschiedlicher Größe und Laune eingepfercht.
    Mr. Graham, ein kleiner, lebhafter Mann in vorgerücktem Alter, saß neben mir und trug einen Beutel mit Kampfer und Teufelsdreck um den Hals, was den anderen Mitreisenden die Tränen in die Augen trieb.

    »Ganz kapital, um die üblen Dämpfe der Influenza abzuwehren«, erklärte er mir, während er den Beutel wie ein Weihrauchgefäß unter meiner Nase hin- und herschwenkte. »Weil ich das in den Herbst- und Wintermonaten stets bei mir trage, war ich in den letzten dreißig Jahren nicht einen Tag krank!«
    »Erstaunlich«, bemerkte ich höflich und versuchte, die Luft anzuhalten. Ich glaubte ihm aufs Wort. Wahrscheinlich hielt ihm der Gestank alle Leute vom Leib, so daß Erreger gar nicht erst an ihn herankamen.
    Die Auswirkungen auf den Knaben waren jedoch nicht annähernd so segensreich. Nach einigen lauten und unüberlegten Bemerkungen über den Geruch in der Kutsche suchte Master Georgie am Busen seiner Mutter Zuflucht, von wo er, grün im Gesicht, hervorspähte. Ich behielt ihn und den Nachttopf unter der gegenüberliegenden Bank im Auge, nur für den Fall, daß schnelles Handeln erforderlich werden sollte.
    Der Nachttopf war wohl nur für den Notfall bestimmt, denn für gewöhnlich erforderte das Schamgefühl der Damen etwa stündlich eine Pause. Dann verteilten sich die Reisenden im Gebüsch, und sei es nur, um dem Gestank von Mr. Grahams Teufelsdreckbeutel zu entrinnen.
    Nach ein oder zwei Pausen sah Mr. Graham seinen Platz neben mir von einem Mr. Wallace belegt, einem rundlichen jungen Anwalt, der nach Edinburgh zurückkehrte, nachdem er sich um die Übergabe eines

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