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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wurde. »Dann wollen Sie also…«
    »Noch vor Morgengrauen«, sagte sie. »Ich habe einen Wagen bestellt, der mich abholt.« Ihre Hände, die im Schoß lagen, verkrampften sich. »Wenn ich…« Sie biß sich auf die Lippen und sah Roger flehend an. »Ich weiß nicht, ob ich es über mich bringe. Ich habe furchtbare Angst. Angst zu gehen. Angst zu bleiben. Angst eben.«
    »Das hätte ich auch.« Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie nahm sie. Lange Zeit hielt er sie fest, spürte ihren schwachen, raschen Puls.
    Schließlich drückte sie herzlich seine Finger.
    »Danke, Roger«, sagte sie. »Danke für alles.« Sie beugte sich vor und gab ihm einen zarten Kuß auf die Lippen. Dann stand sie auf und verließ das Zimmer, ein weißes Gespenst, das vom dunklen Flur verschluckt wurde.

    Roger blieb noch eine Weile sitzen. Lange Zeit meinte er noch, ihre Nähe zu spüren. Die Kerze im Kürbis war fast heruntergebrannt. Der Duft von Bienenwachs erfüllte die Luft, und die heidnischen Götter lugten ein letztes Mal durch die flackernden Augenhöhlen.

23
    Craigh na Dun
    Der Morgen war kalt und neblig; ich war froh über meinen Umhang. Zum letztenmal hatte ich so ein Kleidungsstück vor zwanzig Jahren getragen, aber angesichts der Sachen, die jetzt in Mode waren, hatte sich der Schneider nicht weiter gewundert, als ich ein wollenes Cape mit einer Kapuze in Auftrag gab.
    Ich konzentrierte mich voll und ganz auf den Weg. Die Hügelkuppe hatte im Dunst gelegen, als mich der Wagen am Fuß des Berges absetzte.
    »Hier?« hatte der Fahrer gefragt und ungläubig auf die verlassene Landschaft geblickt. »Sind Sie sicher?«
    »Ja«, sagte ich. Vor Angst brachte ich kaum ein Wort heraus. »Genau hier.«
    »Aye?« Er schaute zweifelnd drein. »Soll ich warten? Oder Sie später hier abholen?«
    Ich war ernstlich versucht, seine Frage zu bejahen. Was war, wenn ich die Nerven verlor? Es kam mir so vor, als stünde ich kurz davor.
    »Nein«, sagte ich und schluckte. »Das ist nicht nötig.« Wenn ich es nicht fertigbrachte, würde ich einfach zu Fuß nach Inverness zurückkehren. Oder vielleicht kämen auch Brianna und Roger - obwohl es sicher noch schlimmer wäre, schmählich gescheitert zurückchauffiert zu werden. Oder vielleicht doch nicht?
    Kiesel rollten unter meinen Füßen davon, und die schweren Geldmünzen in der verstärkten Tasche meines Umhangs schlugen mir bei jedem Schritt gegen die Hüfte und machten mir bewußt, daß ich es wirklich tat.
    Ich konnte nicht. Das Bild von der friedlich schlafenden Brianna, wie ich sie letzte Nacht gesehen hatte, verfolgte mich. Außerdem
spürte ich bereits das Entsetzen, das von der Hügelkuppe seine Fühler ausstreckte - das schrille Kreischen, das Chaos, das Gefühl, in Stücke gerissen zu werden. Ich konnte nicht.
    Trotzdem stieg ich den Berg weiter hinauf. Meine Hände waren feucht von Schweiß, aber meine Füße trugen mich weiter, als folgten sie nicht länger meinen Befehlen.
    Als ich oben ankam, war es hell geworden. Den Nebel hatte ich unter mir gelassen, und scharf und dunkel zeichneten sich die aufrecht stehenden Steine vor dem kristallklaren Himmel ab. Mir brach der Schweiß aus, als ich daran dachte, was mir bevorstand. Aber ich ging weiter und trat in den Kreis.
    Sie standen vor dem gespaltenen Stein und sahen einander an. Als Brianna mich hörte, wirbelte sie zu mir herum.
    Verdutzt starrte ich sie an. Genau wie ich trug sie ein Jessica-Gutenburg-Kleid aus der Boutique in Inverness, nur daß ihres leuchtend limonengrün und das Mieder mit Plastikperlen bestickt war.
    »Die Farbe steht dir ganz und gar nicht«, stellte ich fest.
    »Es gab kein anderes in meiner Größe«, antwortete sie ruhig.
    »Was, in Teufels Namen, wollt ihr hier?« fragte ich, als ich allmählich wieder klar denken konnte.
    »Wir wollten dir nachwinken.« Ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. Ich sah Roger an, der die Achseln zuckte und schief grinste.
    »Ach so. Gut«, sagte ich. Brianna stand direkt vor dem gespaltenen Stein. Er war etwa vier Meter hoch, und durch den etwas fußbreiten Schlitz sah ich die blasse Morgensonne auf das Gras unterhalb des Steinkreises scheinen.
    »Entweder gehst du«, erklärte Brianna, »oder ich gehe.«
    »Du? Weißt du, was du da sagst?«
    »Ja.« Sie sah die Spalte an und schluckte. Aber vielleicht lag es auch an dem limonengrünen Kleid, daß sie kreidebleich wirkte. »Ich weiß, daß ich es kann. Als Geillis Duncan damals ihre Reise antrat, habe ich die Steine

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