Ferne Ufer
heißem Wasser und sanitärer Einrichtung abzuschwören, als sie noch eine Selbstverständlichkeit waren.
Jamie entschuldigte sich, er müsse die Tätigkeit am anderen Ende des Raumes überwachen. Das Wasser war genauso kalt wie der Keller, und als ich mich vorsichtig abwusch, überlief mich ein Kälteschauer nach dem anderen.
Der Gedanke daran, was in den oberen Stockwerken vor sich gehen mochte, trug wenig dazu bei, meine Nerven zu beruhigen. Wahrscheinlich waren wir im Augenblick relativ sicher, solange die Geheimtür den suchenden Zollbeamten verborgen blieb.
Aber wenn unser Versteck entdeckt wurde, war unsere Lage
ziemlich hoffnungslos. Anscheinend gab es keinen anderen Ausgang außer der Geheimtür in der Wand - und falls man sie aufbrach, würde man nicht nur uns und die Fässer, sondern auch die Leiche des ermordeten königlichen Beamten finden.
Und würde das Verschwinden dieses Beamten nicht eine gründliche Suche nach sich ziehen? Ich sah die Zöllner schon vor mir, wie sie das Bordell durchkämmten, die Frauen verhörten und bedrohten und von ihnen eine vollständige Beschreibung meiner selbst, Jamies und Mr. Willoughbys erhielten sowie mehrere Augenzeugenberichte über den Mord. Unwillkürlich warf ich einen Blick in die Ecke, in der der Tote unter seinem blutigen, bunt bestickten Leichentuch ruhte. Der Chinese war nirgends zu sehen; anscheinend lag er ohnmächtig in einer Ecke.
»Hier, Sassenach, trink das. Deine Zähne klappern so, daß du dir gleich die Zunge abbeißt.« Wie ein treuer Bernhardiner war Jamie mit einem Fäßchen Branntwein zu mir zurückgekehrt.
»D-danke.« Ich mußte den Waschlappen fallen lassen und den Holzbecher mit beiden Händen greifen, damit er nicht gegen meine Zähne schlug, aber der Alkohol half: Er entsandte Wärmestrahlen in meine klammen Glieder, als hätte ich glühende Kohle geschluckt.
»Mein Gott, jetzt geht’s mir besser.« Ich schnappte nach Luft. »Ist das die unverschnittene Version?«
»Nein, die würde dich wahrscheinlich umbringen. Aber ein bißchen stärker als das, was wir verkaufen, ist sie schon. Trink aus und zieh dir was über, dann bekommst du noch einen Schluck.« Jamie nahm mir den Becher aus der Hand und gab mir meinen Waschlappen wieder. Während ich hastig meine Waschung beendete, betrachtete ich ihn aus den Augenwinkeln. Stirnrunzelnd und offenbar in Gedanken versunken musterte er mich. Ich hatte mir schon gedacht, daß er kein einfaches Leben führte, und es war mir nicht entgangen, daß meine Anwesenheit alles nur noch schwieriger machte. Ich hätte viel darum gegeben zu wissen, was in seinem Kopf vorging.
»Worüber denkst du nach, Jamie?« fragte ich, als ich die letzten Flecken von meinen Schenkeln wusch.
Seine Stirn glättete sich, und er sah mir in die Augen.
»Ich habe nur gedacht, wie schön du bist, Sassenach.«
»Kann sein, wenn man eine Vorliebe für Gänsehaut hat«, erwiderte ich spitz, stieg aus der Wanne und griff nach dem Becher.
Er grinste mich an, so daß seine Zähne in der Dunkelheit weiß aufleuchteten.
»Aye«, sagte er. »Du sprichst mit dem einzigen Mann in Schottland, der beim Anblick eines gerupften Huhns einen Ständer bekommt.«
Ich verschluckte mich an meinem Branntwein und bekam einen Erstickungsanfall. Jamie schlüpfte hastig aus seinem Rock, hüllte mich darin ein und zog mich an sich, während ich zitternd und hustend nach Luft rang.
»Da fällt es einem schwer, am Verkaufsstand des Geflügelhändlers vorbeizugehen und brav zu bleiben«, flüsterte er mir ins Ohr und rieb mir den Rücken. »Ruhig, Sassenach, ruhig. Es wird schon wieder.«
Zitternd klammerte ich mich an ihn. »Tut mir leid«, sagte ich. »Mir fehlt nichts. Es ist alles meine Schuld. Mr. Willoughby hat den Zöllner erschossen, weil er dachte, der macht sich an mich ran.«
Jamie schnaubte verächtlich. »Deshalb trifft dich doch längst keine Schuld, Sassenach«, sagte er. »Und es ist auch nicht das erstemal, daß der Chinese etwas Närrisches anstellt. Wenn er getrunken hat, ist er zu allem fähig.«
Doch als Jamie allmählich dämmerte, was ich gesagt hatte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck, und er starrte mich mit großen Augen an. »Hast du Zöllner gesagt, Sassenach?«
»Ja, warum?«
Er antwortete nicht, ließ mich aber los, drehte sich auf dem Absatz um und nahm im Vorübergehen die Kerze von dem Faß. Um nicht allein im Dunkeln zurückzubleiben, folgte ich ihm in die Ecke, wo der Leichnam lag.
»Halt mal.« Jamie
Weitere Kostenlose Bücher