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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Schließlich schloß ich ihn in die Arme, tätschelte seinen Rücken und redete beruhigend auf ihn ein, als wäre er ein kleines Kind.
    Es war ein merkwürdiges Gefühl, ihn in den Armen zu halten: Er war fast so groß wie ein erwachsener Mann, aber viel feingliedriger und hatte kaum Fleisch auf den Knochen. Er verbarg sein Gesicht an meinem Busen, so daß man kaum verstand, was er nun sagte.
    »Todsünde…«, hörte ich heraus, »…ewige Verdammnis… konnte es Papa nicht sagen… Angst… kann nie wieder heimkommen…«
    Jamie sah mich fragend an, aber ich zuckte nur hilflos die Achseln und streichelte das dichte, widerspenstige Haar des Jungen. Schließlich nahm ihn Jamie an den Schultern und zog ihn hoch.
    »Schau her, Ian«, sagte er. »Nein, schau - schau mich an!«
    Mit größter Anstrengung richtete Ian sich auf und sah seinen Onkel aus rotgeränderten Augen an.

    »Also.« Jamie nahm die Hände seines Neffen und drückte sie. »Erstens ist es keine Sünde, einen Mann zu töten, der versucht hat, einen umzubringen. Die Kirche erlaubt es einem, im Notfall zu töten, um sich selbst, seine Familie oder sein Land zu verteidigen. Folglich hast du keine Todsünde begangen und wirst nicht verdammt.«
    »Wirklich nicht?« Ian schniefte hörbar und wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ab.
    »Nein, wirklich nicht.« Jamies Augen lächelten. »Morgen früh gehen wir zusammen zu Vater Hayes, und da legst du die Beichte ab und erhältst deine Absolution. Aber er wird dir das gleiche sagen wie ich.«
    »Ach«, sagte Ian unendlich erleichtert, und seine Schultern hoben sich, als hätte er gerade eine schwere Bürde abgeladen.
    Jamie tätschelte seinem Neffen das Knie. »Und zweitens brauchst du keine Angst davor zu haben, es deinem Vater zu erzählen.«
    »Nein?« Ian hatte seinem Onkel ohne Zögern geglaubt, was dieser ihm über sein Seelenheil sagte, doch in weltlichen Dingen traute er seinem Urteil offenbar weniger.
    »Ich will nicht behaupten, daß er sich nicht aufregen wird«, fügte Jamie der Gerechtigkeit halber hinzu. »Ich glaube sogar, daß die paar dunklen Haare, die er noch hat, auf der Stelle schlohweiß werden. Aber er wird es verstehen. Er wird dich nicht vor die Tür setzen oder verstoßen, wenn es das ist, wovor du dich fürchtest.«
    »Du glaubst, er versteht es?« In Ians Augen kämpften Hoffnung und Zweifel. »Ich - ich hätte nicht gedacht… hat mein Vater jemals einen Menschen getötet?« fragte er plötzlich.
    Jamie zwinkerte verblüfft. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet. »Ich glaube - ich meine, er hat in der Schlacht gekämpft, aber - ehrlich gesagt, Ian, ich weiß es nicht.« Er sah seinen Neffen hilflos an. »Über so etwas reden Männer nicht viel, aye? Höchstens Soldaten, wenn sie stockbesoffen sind.«
    Ian nickte und zog wieder die Nase hoch, wobei er ein schreckliches Gurgeln von sich gab. Jamie, der hastig nach einem Taschentuch suchte, blickte plötzlich auf.
    »Deshalb also wolltest du es mir erzählen, und nicht deinem Vater? Weil du wußtest, daß ich schon Menschen getötet habe?«

    Sein Neffe nickte und erforschte vertrauensvoll Jamies Gesicht. »Aye, ich dachte… ich dachte, du weißt, was dann zu tun ist.«
    »Aha.« Jamie holte tief Luft und tauschte einen Blick mit mir. Seine Schultern wurden breiter und spannten sich, und er nahm die Bürde auf sich, die Ian abgelegt hatte. Er seufzte.
    »Also«, sagte er, »zunächst fragt man sich, ob man eine andere Wahl hatte. Die hattest du nicht, also kannst du beruhigt sein. Dann geht man, wenn möglich, zur Beichte; wenn nicht, spricht man ein Bußgebet - das reicht, wenn es keine Todsünde war. Du hast keine Schuld auf dich geladen, vergiß das nicht«, sagte er ernst, »du verspürst Reue, weil du bedauerst, überhaupt in diese Zwangslage geraten zu sein. So etwas geschieht eben manchmal, und man kann es nicht abwenden. Und dann betet man für die Seele dessen, den man getötet hat, damit sie Ruhe findet und einen nicht verfolgt.«
    Ian nickte bedächtig. »Aye, gut. Und dann?« fragte er leise.
    Jamie streichelte seinem Neffen die Wange. »Dann muß man damit leben, mein Kleiner«, sagte er. »Das ist alles.«

28
    Der Tugendwächter
    »Glaubst du, der Mann, dem Ian gefolgt ist, hat etwas mit Sir Percivals Warnung zu tun?« Ich hob einen der Deckel auf dem Tablett hoch, das gerade hereingebracht worden war, und schnupperte genüßlich. Seit dem Eintopf bei Moubray’s war eine ganze Weile vergangen.
    Jamie nickte und

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