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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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wir hier rum, wo einem der Wind in die Knochen fährt. Wir hätten in der Abtei Posten beziehen sollen - da wäre es wenigstens warm.«
    Ian umklammerte meinen Oberarm wie ein Schraubstock. Ich versuchte, ihn abzuschütteln, aber er ignorierte meine Bemühungen.
    »Aye, aber da ist die Chance geringer, daß uns der große Fisch ins Netz geht«, erwiderte der erste. »Und was ich mit fünfzig Pfund alles anfangen könnte!«
    »In Ordnung«, meinte der zweite resigniert. »Aber wie wir im Dunkeln rote Haare erkennen sollen, weiß ich wirklich nicht.«
    »Bring sie erst mal zur Strecke, Oakie. Die Köpfe sehen wir uns später an.«
    Ian wurde schließlich durch mein Gezerre aus seiner Trance gerissen und folgte mir stolpernd ins Dickicht.
    »Was soll das heißen - Posten beziehen in der Abtei?« fragte ich, sobald wir außer Hörweite waren. »Weißt du das?«
    Ian nickte. »Ich glaube schon, Tante. Das muß die Abtei in Arbroath sein. Das ist der Treffpunkt, aye?«
    »Treffpunkt?«
    »Wenn etwas schiefgehen sollte«, erklärte er. »Dann muß sich jeder allein durchschlagen, und alle treffen sich so bald wie möglich an der Abtei.«
    »Mehr hätte wirklich nicht schiefgehen können«, bemerkte ich. »Was hat dein Onkel gerufen, als die Zöllner aufgetaucht sind?«
    Ian hatte nach den Verfolgern Ausschau gehalten. Nun wandte er mir sein blasses Gesicht wieder zu. »Oh - er sagte: ›Auf Männer! Über die Klippen und rennt!‹«
    »Ein guter Rat«, bemerkte ich trocken. »Wenn sie ihn befolgt haben, müßten die meisten davongekommen sein.«
    »Außer Onkel Jamie und Mr. Willoughby.« Ian fuhr sich nervös mit der Hand durch die Haare, eine Geste, die mich so schmerzlich
an Jamie erinnerte, daß ich am liebsten gesagt hätte, er solle das lassen.
    »Ja.« Ich holte tief Luft. »Im Augenblick können wir nichts für sie tun. Die anderen aber - wenn sie zur Abtei unterwegs sind…«
    »Aye«, fiel er mir ins Wort, »darüber wollte ich mir gerade klarwerden. Soll ich tun, was Onkel Jamie gesagt hat, und dich nach Lallybroch bringen, oder soll ich lieber versuchen, schnell zur Abtei zu kommen, um die anderen zu warnen?«
    »Lauf zur Abtei«, sagte ich, »so schnell du kannst.«
    »Ja, aber… ich möchte dich nicht allein lassen, Tante, und Onkel Jamie hat gesagt…«
    »Es gibt Zeiten, da muß man Befehle befolgen, Ian, und Zeiten, da muß man seinen Kopf selbst anstrengen«, entgegnete ich fest und übersah geflissentlich die Tatsache, daß ich das Denken für ihn übernahm. »Führt diese Straße zur Abtei?«
    »Aye, es sind nicht mehr als eineinviertel Meilen.« Er wippte bereits einsatzbereit auf den Ballen.
    »Gut. Du hältst dich abseits von der Straße und läufst zur Abtei. Ich nehme die Straße und sehe, ob ich die Zöllner ablenken kann, bis du dich aus dem Staub gemacht hast. Ich treffe dich an der Abtei. Hier, nimm deinen Rock wieder.«
    Ich gab ihm das Kleidungsstück ungern zurück: Es wärmte nicht nur angenehm, es schien auch meine letzte Verbindung zu einem mir wohlgesonnenen Menschen zu sein. Sobald Ian fort war, würde ich mutterseelenallein in der dunklen, kalten schottischen Nacht zurückbleiben.
    »Ian?« Ich hielt ihn am Arm fest, damit er noch einen Augenblick dablieb.
    »Aye?«
    »Sei vorsichtig.« Einem Impuls folgend, küßte ich ihn auf die Wange. Ich bekam noch mit, daß er überrascht die Brauen hochzog und mich anlächelte, dann war er verschwunden.
    Es war bitterkalt. Ich hörte nichts als das Brausen des Windes in den Büschen und das ferne Murmeln der Brandung. Zitternd zog ich mir den Wollschal enger um die Schultern und ging zur Straße.
    Sollte ich mich bemerkbar machen? Wenn nicht, würde man mich vielleicht ohne Vorwarnung angreifen, da die wartenden Männer mich zwar hören, aber nicht sehen könnten und mich für
einen flüchtenden Schmuggler halten würden. Wenn ich andererseits ein heiteres Lied sänge, um meine Harmlosigkeit unter Beweis zu stellen, würden sie sich möglicherweise gar nicht aus ihrem Versteck rühren - und genau dazu wollte ich sie ja bringen. Ich bückte mich und hob einen Stein vom Wegrand auf. Als ich dann auf die Straße trat und wortlos geradeaus marschierte, war mir noch kälter als zuvor.

31
    Schmugglermond
    Rastlos brauste der Wind durch Büsche und Bäume und übertönte das Geräusch meiner Schritte auf der Straße ebenso wie die eines möglichen Verfolgers. Es war kaum zwei Wochen nach dem Fest Samhain und in dieser wilden Nacht hätte man

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