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Ferne Ufer

Titel: Ferne Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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junge Ian mich auf. »Tagelang hielt Cluny ihn versteckt. Die englischen Dreckskerle haben ihn überall gesucht, aber nicht gefunden - und Cluny ebensowenig«, schloß er mit Genugtuung.
    »Komm her, wasch dich, Ian«, forderte Jamie ihn so streng auf, daß der Junge überrascht blinzelte. »Du kannst deinen Eltern doch nicht so verdreckt gegenübertreten.«
    Ian seufzte, neigte aber gehorsam den Kopf über das Rinnsal und spuckte und keuchte, als er sich das Wasser ins Gesicht spritzte.
    Ich wandte mich um zu Jamie, dessen Blick versonnen auf seinem Neffen ruhte. Malte er sich bereits das Wiedersehen in Lallybroch aus, das unangenehm zu werden versprach, oder dachte er zurück an Edinburgh, an die schwelenden Überreste der Druckerei und den toten Mann im Keller des Bordells? Oder war er mit seinen Gedanken vielleicht gar bei Charles Edward Stuart und dem Aufstand?
    »Was erzählst du denn deinen Nichten und Neffen von Charles?« fragte ich leise über Ians Prusten hinweg.
    Jamies Blick heftete sich auf mich. Der Anflug eines Lächelns zeigte mir, daß ich seine Gedanken erraten hatte. Doch sofort wich der Ausdruck wieder aus seinem Gesicht.
    »Ich spreche nie von ihm«, antwortete er ebenso leise und drehte sich zu den Pferden um.
     
    Drei Stunden später überquerten wir den letzten der windigen Pässe und erreichten den Abhang, der hinunter nach Lallybroch führte. Jamie, der an der Spitze ritt, hielt sein Pferd an und wartete, bis der junge Ian und ich an seiner Seite waren.
    »Dort ist es«, sagte er. Er blickte mich lächelnd an. »Hat es sich sehr verändert?«
    Verzückt schüttelte ich den Kopf. Aus der Entfernung wirkte es wie eh und je. Die drei Stockwerke des weißgekalkten Gutshauses strahlten inmitten der bescheidenen Nebengebäude und der braunen, mit Steinwällen begrenzten Felder. Auf der kleinen Erhebung hinter dem Haus erblickte ich die Überreste des Brochs, des alten runden Turms, der dem Anwesen den Namen gegeben hatte.

    Als ich genauer hinsah, stellte ich fest, daß sich die Nebengebäude doch ein wenig verändert hatten. Ein Jahr nach Culloden, so wußte ich von Jamie, hatten die englischen Soldaten das Taubenhaus und die Kapelle niedergebrannt, und ich erkannte die freien Flächen, auf denen sie einmal gestanden hatten. Die Mauer des Gemüsegartens war mit andersfarbigem Stein ausgebessert worden. Ein neu errichteter Schuppen aus Ziegeln und Brettern diente nun offensichtlich als Taubenhaus, der Aneinanderreihung plumper, gefiederter Gestalten auf dem Dachfirst nach zu schließen.
    Der Rosenstock, den Jamies Mutter Ellen noch gepflanzt hatte, war zu einem großen, ausladenden Busch herangewachsen. Ein Gitter hielt ihn an der Hauswand.
    Aus dem Kamin an der Westseite stieg eine Rauchwolke und wurde von einer Bö Richtung Süden mitgenommen. Plötzlich sah ich Jenny vor meinem inneren Auge am Kaminfeuer sitzen und mit lauter Stimme aus einem Roman oder einem Gedichtband vorlesen, während Jamie und Ian, über eine Partie Schach gebeugt, mit halbem Ohr lauschten. Die Kinder lagen oben in ihren Betten, und ich saß am Rosenholzsekretär und schrieb Arzneirezepte nieder oder widmete mich der Flickarbeit.
    »Was meinst du, werden wir wieder hier wohnen?« fragte ich Jamie, darauf bedacht, mir meine Sehnsucht nicht anmerken zu lassen. Mehr als jeder andere Ort war mir Lallybroch Heimat gewesen. Doch das war lange her - und mittlerweile hatte sich viel verändert.
    Er schwieg eine Weile nachdenklich. Schließlich schüttelte er den Kopf und nahm erneut die Zügel. »Ich weiß es nicht, Sassenach«, antwortete er. »Es wäre schön, aber ich weiß nicht, wie es weitergeht, verstehst du?« Stirnrunzelnd blickte er auf das Haus.
    »Ist schon gut. Ob wir nun in Edinburgh leben oder auch in Frankreich - mach dir keine Gedanken, Jamie.« Ich sah ihn an und tätschelte ihm beruhigend die Hand. »Wenn wir nur zusammen sind.«
    Seine sorgenvolle Miene hellte sich auf. Er nahm meine Hand, führte sie an seine Lippen und küßte sie sanft.
    »Mir ist es auch einerlei, Sassenach, wenn du nur bei mir bleibst.«

    Lange blickten wir einander an, bis uns ein verlegenes Hüsteln an die Gegenwart des jungen Ian erinnerte. Stets darauf bedacht, unsere Privatsphäre nicht zu verletzen, hatte er sich auf der Reise fast übertrieben rücksichtsvoll benommen. Wenn wir uns nachts hinlegten, stapfte er durch die Heide und suchte sich weitab von uns einen Schlafplatz und gab sich überhaupt große Mühe, uns nicht

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