Ferne Ufer
erkennen an den dunkelfarbigen Kotresten und einer Handvoll träger Tiere auf den Felsen. Die Inseln lagen in einer Linie am Eingang einer kleinen Bucht im Schutze einer klippenartigen Landspitze.
Wenn Jamie Duncans Worte richtig verstanden hatte, befand sich der Schatz auf der dritten Insel, fast eine Meile vor der Küste. Dorthin zu schwimmen war selbst für einen kräftigen Mann eine Herausforderung. Die harte Gefängnisarbeit und der lange Fußmarsch ohne Nahrung hatten Jamies Kräfte aufgezehrt. Er stand oben auf der Felsküste und überlegte, ob es der Mühe wert war, wegen des Schatzes - wenn es überhaupt einen gab - sein Leben aufs Spiel zu setzen.
»Als ich an den Rand der zerklüfteten Felsen trat, lösten sich Gesteinsbrocken und fielen den steilen Abhang hinunter. Ich wußte nicht einmal, wie ich ins Wasser gelangen sollte, geschweige denn zu der Insel. Aber dann fiel mir ein, was Duncan über Ellens Turm gesagt hatte«, fügte Jamie hinzu. Mit weit geöffneten Augen blickte er in die Ferne. Vermutlich sah er wieder jene ferne Küste vor sich, wo das Krachen herabstürzender Felsbrocken im Tosen der Wellen unterging.
Am Ende der Landzunge fand er den »Turm«, einen kleinen
Felskopf, hinter dem sich ein schmaler Spalt verbarg. Es war ein Kamin, der fünfundzwanzig Meter nach unten zum Meer führte. Der Abstieg war nicht ganz einfach, jedoch zu bewältigen.
Vom Fuß des Turms bis zu der dritten Insel war es allerdings immer noch mehr als eine Viertelmeile. Jamie entkleidete sich bis auf die Haut, bekreuzigte sich, befahl seine Seele in die Hände seiner Mutter und tauchte in die Fluten.
Er kam nur langsam voran, strampelte und rang nach Luft, als sich die Wellen über ihm brachen. Jamie war im Landesinnern aufgewachsen, so daß sich seine Schwimmerfahrungen auf die ruhigen Lochs und die tieferen Stellen in Forellenbächen beschränkten.
Das Salzwasser trübte seinen Blick, und die donnernde See betäubte ihn fast. Stundenlang, so schien es ihm, kämpfte er gegen die Wellen an. Als er einmal nach Atem ringend aufblickte, sah er das Festland - nicht hinter sich, wie er vermutet hatte, sondern zu seiner Rechten.
»Der Gezeitenstrom trug mich hinaus auf das offene Meer, ob ich wollte oder nicht«, sagte er trocken. »Ich fügte mich in mein Schicksal. Ich meinte, verloren zu sein, da ich wußte, daß ich es zurück nicht mehr schaffen würde. Ich hatte seit zwei Tagen nichts gegessen und nur noch wenig Kraft.«
Also hörte er auf zu schwimmen, legte sich auf den Rücken und überließ sich dem Meer. Benommen schloß er die Lider und versuchte sich an den Wortlaut des keltischen Gebets gegen das Ertrinken zu erinnern.
Sein langes Schweigen ließ mich unruhig werden. Schließlich seufzte er und sagte schüchtern: »Sicher wirst du denken, ich sei verrückt, Sassenach. Ich habe niemandem davon erzählt. Nicht einmal Jenny. Aber… während ich das Gebet sprach, hörte ich, wie mich meine Mutter rief.« Unbehaglich zuckte er mit den Achseln.
»Vielleicht lag es daran, daß ich an sie gedacht hatte, als ich die Küste verließ«, meinte er. »Und dennoch…« Er schwieg erneut. Ich berührte sein Gesicht.
»Was hat sie gesagt?« fragte ich leise.
»›Komm zu mir, Jamie… komm her, kleiner Kerl.‹« Er seufzte tief. »Ich konnte sie ganz deutlich hören, aber gesehen habe ich nichts. Niemand war in der Nähe, nicht einmal ein Seehund. Ich dachte, vielleicht ruft sie mich vom Himmel aus zu sich… Ich war
so müde, daß ich nichts dagegen gehabt hätte zu sterben. Ich drehte mich auf den Bauch und streckte die Arme in die Richtung, aus der ich die Stimme gehört hatte. Ich wollte zehn Züge schwimmen und dann ausruhen oder ertrinken.«
Beim achten Zug wurde er von einer Strömung erfaßt.
»Mir war, als hätte mich jemand hochgehoben«, erklärte er, und es klang, als wäre er darüber immer noch erstaunt. »Das Wasser war wärmer geworden, und ich brauchte nur ein wenig zu paddeln, um nicht unterzugehen.«
Die wirbelnde Strömung zwischen der Landspitze und den Inseln hatte ihn zur dritten kleinen Insel getragen, deren Ufer er nun mit wenigen Zügen erreichen konnte.
Die Insel bestand nur aus zerklüfteten Granitfelsen, wie es sie in Schottland zuhauf gibt. Obwohl sie vom Seetang und dem Kot der Seehunde ganz glitschig war, kroch Jamie so dankbar an Land, als erwarteten ihn dort Palmen und weißer Sandstrand. Er fiel auf sein Gesicht und kam zu Atem, halb ohnmächtig vor
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