Ferne Ufer
schmerzte ihn offensichtlich. Die Kugel war an der Innenseite des Oberarms, direkt über dem Ellbogen ausgetreten. Da der Einschuß nicht genau gegenüber lag, war die Kugel abgeleitet worden.
»Sie hat den Knochen getroffen«, erklärte ich. »Weißt du, ob der Knochen gebrochen ist? Ich möchte nicht mehr als nötig an dir herumdrücken.«
»Auch kleine Gaben werden angenommen«, erwiderte er und versuchte zu lächeln, was ihm aber nicht gelang.
»Nein, ich glaube nicht, daß er gebrochen ist«, sagte er. »Ich hab’ mir mal das Schlüsselbein und die Hand gebrochen, und so fühlt es sich nicht an. Allerdings tut es etwas weh.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Vorsichtig tastete ich seinen Bizeps entlang. »Wo endet der Schmerz?«
Wie beiläufig blickte er auf seinen verwundeten Arm. »Fühlt sich an, als hätte ich einen heißen Schürhaken im Arm. Aber es ist nicht nur der Arm. Die ganze Seite ist steif und schmerzt.« Er schluckte. »Kannst du mir einen Schluck Weinbrand geben?« bat er. »Selbst mein Herzschlag tut mir weh», fügte er entschuldigend hinzu.
Wortlos füllte ich das Glas mit Wasser aus der Karaffe und hielt es an seine Lippen. Er blickte etwas skeptisch, trank aber gierig. Dann ließ er den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Er schloß die Augen und atmete ein paarmal tief, öffnete sie wieder und sah mich an.
»Zweimal wäre ich fast am Fieber gestorben«, begann er. »Diesmal wird es wahrscheinlich soweit sein. Ich wollte dir niemanden hinterherschicken, aber - ich bin froh, daß du da bist.« Er schluckte. »Ich… wollte dir sagen, daß es mir leid tut, und mich ordentlich von dir verabschieden. Ich will dich nicht bitten, bis zu meinem Ende bei mir zu bleiben, aber… würdest du dich… vielleicht eine Weile hersetzen?«
Ich merkte, wie sehr er sich darum bemühte, seiner Stimme oder
seinem Blick nichts Flehentliches zu geben. Er wollte eine einfache Bitte äußern, die sich auch abschlagen ließ.
Behutsam setzte ich mich neben ihn aufs Bett. Der Schein des Feuers fiel auf sein Gesicht und ließ die rotgoldenen, silbrig durchzogenen Bartstoppeln aufleuchten. Er sah mir direkt in die Augen. Hoffentlich stand mir meine Sehnsucht nach ihm nicht so deutlich ins Gesicht geschrieben wie umgekehrt.
Ich streckte die Hand aus und tätschelte sanft seine rauhe Wange.
»Ich bleibe ein Weilchen bei dir«, erklärte ich. »Aber du wirst nicht sterben.«
Er hob eine Augenbraue. »Vor einem Fieber hast du mich gerettet, ich glaube immer noch, durch Zauberkraft. Und beim zweitenmal hat Jenny mich mit bloßer Starrköpfigkeit durchgebracht. Jetzt, wo ihr beide hier seid, könntet ihr es vielleicht schaffen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich es noch einmal durchmachen möchte. Ich glaube, ich will lieber sterben, dann habe ich es hinter mir - wenn es dir recht ist.«
»Du undankbarer Feigling«, sagte ich. Hin- und hergerissen zwischen Wut und Zärtlichkeit, streichelte ich ihm die Wange. Dann stand ich auf und wühlte in meiner Rocktasche. Es gab etwas, was ich stets bei mir trug.
Ich legte das Kästchen auf den Tisch und schob den kleinen Riegel zurück. »Ich werde dich auch diesmal nicht sterben lassen«, erklärte ich ihm, »sosehr ich auch versucht bin.« Vorsichtig nahm ich das zusammengerollte Stück Flanell heraus und legte es auf den Tisch. Dann rollte ich es auseinander, bis die glänzenden Spritzen offen dalagen, und suchte in der Schachtel nach dem Fläschchen mit den Penicillintabletten.
»Was, um Himmels willen, ist denn das?« fragte Jamie und warf einen interessierten Blick auf die Spritzen. »Die sehen verdammt spitz aus.«
Ich antwortete nicht, da ich gerade die Tabletten in destilliertem Wasser auflöste. Dann bereitete ich die Spritze vor.
»Leg dich auf die Seite«, forderte ich Jamie auf. »Und schieb das Hemd hoch.«
Argwöhnisch beäugte er die Nadel in meiner Hand, gehorchte aber widerwillig. Beifällig betrachtete ich das Terrain.
»Dein Hintern sieht aus wie vor zwanzig Jahren«, bemerkte ich und bewunderte die muskulösen Rundungen.
»Deiner auch«, entgegnete er höflich. »Aber ich bestehe nicht darauf, daß du ihn entblößt. Hat dich vielleicht die Lust gepackt?«
»Im Augenblick nicht«, antwortete ich gelassen und betupfte seine Haut mit Weinbrand.
»Das ist ein sehr guter Weinbrand«, sagte Jamie und spähte über die Schulter. »Aber ich wende ihn eigentlich immer am anderen Ende an.«
»Anderen Alkohol habe ich jetzt nicht zur Hand. Halt
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