Ferne Ufer
Finger auf meinem Silberring ruhen. »Doch manche wiegen schwerer als andere.« Nun war es an ihm, mein Gesicht nachdenklich zu erforschen.
Er stand ganz nah bei mir. Die Sonne, die durch die Luke hereinfiel, ließ das Leinen seines Ärmels aufleuchten, und seine Hand hob sich tiefbraun von meinen weißen Fingern mit dem glitzernden Ring ab.
»Das stimmt«, sagte ich leise. »Du weißt, daß es so ist.« Ich legte meine andere Hand auf seine Brust, so daß auch der goldene Ring in der Sonne funkelte. »Aber wenn der eine Eid gehalten werden kann, ohne daß der andere gebrochen wird…?«
Er seufzte tief, dann beugte er sich über mich und küßte mich zärtlich.
»Aye, ich möchte nicht schuld sein, daß du meineidig wirst.« Als er sich aufrichtete, hatte er einen gequälten Zug um den Mund. »Bist du sicher, daß diese Impfung dich schützt?«
»Ganz sicher«, erklärte ich.
»Vielleicht sollte ich dich begleiten«, meinte er stirnrunzelnd.
»Das geht nicht - du bist nicht geimpft, und Typhus ist schrecklich ansteckend.«
»Du glaubst nur, daß es Typhus ist, weil du dich auf Leonards Beschreibung verläßt«, hielt er mir entgegen. »Du weißt es nicht gewiß.«
»Nein«, gab ich zu. »Aber es gibt nur einen Weg, es herauszufinden.«
Auf das Deck der Porpoise gelangte ich mit Hilfe des Bootsmannsstuhls, einer Art Schaukel, die mich in schwindelerregender Höhe über brodelndes Wasser hinwegtrug, und peinlicherweise landete ich bäuchlings auf dem Boden. Sobald ich wieder auf den Beinen war, stellte ich erstaunt fest, wie solide das Deck des Kriegsschiffes war verglichen mit dem winzigen, stampfenden Achterdeck der Artemis tief unter uns. Mir war, als stünde ich auf dem Felsen von Gibraltar.
Meine Frisur hatte sich gelöst, und ich steckte sie so gut es ging wieder auf. Dann griff ich nach meinem Medizinkasten, den einer der Seekadetten für mich hielt.
»Am besten zeigen Sie mir, wo die Kranken sind«, sagte ich. Es wehte eine frische Brise, und mir war bewußt, daß sich beide Mannschaften ins Zeug legen mußten, um die Schiffe beieinander zu halten.
In dem engen Zwischendeck war es dunkel. Die einzigen Lichtquellen waren kleine Öllampen, die von der Decke baumelten. Die Männer, die nebeneinander in Hängematten lagen, konnte man kaum erkennen. Sie sahen aus wie eine Herde Wale oder schlafende Seeungeheuer.
Es herrschte ein überwältigender Gestank. Frischluft drang nur durch die unzureichenden Lüftungsschächte herein, die zum oberen Deck führten. Schlimmer noch als der Geruch von ungewaschenen Seeleuten waren die Ausdünstungen der Krankheit.
»Ich brauche besseres Licht«, befahl ich dem aufgeweckten jungen Seekadetten, dem man aufgetragen hatte, mich zu begleiten. Er hielt sich ein Tuch vors Gesicht und sah ziemlich elend und verängstigt aus, aber er gehorchte und hielt seine Laterne hoch, damit ich in eine der Hängematten blicken konnte.
Der Mann wandte stöhnend sein Gesicht ab, als ihn der Lichtstrahl traf. Seine Haut glühte rot vor Fieber. Ich zog sein Hemd hoch und befühlte seinen Bauch: Er war hart und aufgebläht und fühlte sich ebenfalls heiß an. Als ich ihn behutsam betastete, wand sich der Kranke wie ein Wurm am Angelhaken und stöhnte mitleiderregend.
»Ist schon gut«, beruhigte ich ihn und forderte ihn auf, sich wieder auszustrecken. »Ja, ich helfe Ihnen, bald geht’s Ihnen besser. Lassen Sie mich jetzt Ihre Augen sehen. Ja, das ist gut.«
Ich zog ein Augenlid hoch; die Pupille verengte sich im Licht, das Auge war rotgerändert.
»Bei Gott, nehmen Sie das Licht weg!« keuchte er und riß den Kopf zurück. »Mir platzt der Schädel!« Fieber, Erbrechen, Bauchkrämpfe, Kopfschmerzen.
»Fröstelt es Sie?« fragte ich und bedeutete meinem Helfer, die Laterne wegzunehmen.
Aus dem Stöhnen, mit dem er antwortete, hörte ich ein Ja heraus. Selbst im Dunkeln konnte ich sehen, daß viele der Männer auf den Hängematten ungeachtet der drückenden Hitze in Decken gehüllt waren.
Ich war mir ziemlich sicher, worum es sich handelte - die Symptome, die ich hier beobachtete, waren typisch.
Allerdings hatte der Seemann keinen Hautausschlag auf dem Bauch, der zweite auch nicht, aber der dritte. Die hellroten Roseolen traten auf der klammen, weißen Haut deutlich hervor. Sie ließen sich nicht wegdrücken. Durch die Hängematten, in denen die schweren, schwitzenden Leiber dicht an dicht lagen, bahnte ich mir den Weg zurück zum Niedergang, wo Kapitän Leonard und zwei
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